Magnus Jonson 01 - Fluch
die hohe Stirn in Falten. »Ich denke, wir müssen uns noch einmal mit Mr. Jubb unterhalten.«
Steve Jubbs neuer Anwalt, Kristján Gylfason, war eine einnehmen de Erscheinung: ein intelligentes Gesicht, frühzeitig ergrautes Haar, die ruhige Ausstrahlung von Kompetenz und Wohlstand. Seine bloße Anwesenheit schien Jubb zu beruhigen. Nicht gut.
Nun befanden sich fünf Männer im Vernehmungsraum: Jubb, sein Anwalt, Baldur, Magnus und der Dolmetscher.
Baldur warf die englische Ausgabe von Der Herr der Ringe auf den Tisch. Schweigen im Raum. Jubbs Blick streifte das Buch kurz. Árni war schnell losgelaufen und hatte es in der Buchhandlung Eymundsson in der Innenstadt gekauft.
Baldur klopfte auf den Wälzer. »Schon mal gelesen?«
Jubb nickte.
Langsam und bedächtig schlug Baldur das Buch im zweiten Kapitel auf und schob es zu Steve Jubb hinüber. »So, dann lies das mal! Willst du immer noch behaupten, du wüsstest nicht, wer Isildur ist?«
»Das ist eine Figur in einem Buch«, entgegnete Jubb. »Mehr nicht.«
»Wie oft hast du dieses Buch gelesen?«, fragte Baldur.
»Ein-, zweimal.«
»Ein-, zweimal?« Baldur schnaubte verächtlich. »Isildur ist ein Spitzname, stimmt’s? Von einem deiner Freude. Der ebenfalls Fan vom Herrn der Ringe ist.«
Steve Jubb zuckte mit den Achseln.
Magnus erhaschte einen kurzen Blick auf den hinteren Teil einer Tätowierung, die unter Jubbs Ärmel hervorschaute. »Ziehen Sie mal Ihr Hemd aus!«
Steve Jubb zuckte erneut mit den Schultern und schälte sich aus dem Jeanshemd, das er seit seiner Festnahme trug. Zum Vorschein kamen ein schlichtes weißes T-Shirt und auf seinem Unterarm ein Tattoo von einem Mann mit Helm und Bart, der eine Axt schwang.
Nein, kein Mann, eher ein Zwerg.
»Lassen Sie mich raten«, sagte Magnus. »Ihr Spitzname ist Gimli.« Ihm war wieder eingefallen, dass der Zwerg in Der Herr der Ringe Gimli hieß.
Erneutes Schulterzucken.
»Ist Isildur ein Kumpel aus Yorkshire?«, wollte Magnus wissen. »Treffen Sie sich freitags mit ihm im Pub, trinken ein paar Bier und unterhalten sich über isländische Sagas?«
Keine Antwort.
»In England gibt’s doch auch diese Krimiserien, oder?«, fragte Magnus. » CSI , Law and Order , solche Sachen?«
Jubb runzelte die Stirn.
»Ich meine nur, weil in diesen Serien der Böse immer schweigt, während der Gute die Fragen stellt. So läuft das in Island aber nicht.« Magnus beugte sich vor. »In Island glauben wir, dass man was zu verbergen hat, wenn man den Mund nicht aufmacht. Stimmt’s, Kristján?«
»Es ist die freie Entscheidung meines Mandanten, Ihre Fragen nicht zu beantworten«, sagte der Anwalt. »Ich habe ihm die Konsequenzen dargelegt.«
»Wir bekommen auf jeden Fall heraus, was du uns verschweigst«, sagte Baldur. »Und wenn es vor Gericht geht, wird deine mangelnde Kooperationsbereitschaft ins Gewicht fallen.«
Der Anwalt wollte etwas sagen, doch Jubb legte ihm die Hand auf den Arm. »Na, wenn ihr so verdammt schlau seid, dann werdet ihr ja irgendwann herausfinden, dass ich einen Scheißdreck mit Agnars Tod zu tun habe, und dann müsst ihr mich laufenlassen. Und bis dahin sag ich keinen Ton.«
Er verschränkte die Arme und streckte das Kinn vor. Steve Jubb gab keinen Mucks mehr von sich.
Vigdís wartete vor dem Vernehmungszimmer.
»Hier ist ein Herr von der Britischen Botschaft, der mit dir sprechen möchte.«
Baldur fluchte. »Verdammt! Das ist doch reine Zeitverschwendung. Aber ich muss wohl mit ihm reden. War sonst noch was?« An dem kaum verhohlenen Ausdruck von Triumph in Vigdís’ Gesicht sah Baldur, dass es noch mehr zu erzählen gab.
»Agnar hatte eine Geliebte«, sagte Vigdís mit einem leichten Lächeln.
Baldur hob die Augenbrauen. »Wirklich?«
»Andrea Fridriksdóttir. Sie studiert isländische Literatur an der Universität, bei Agnar. Hat sich sofort gemeldet, als sie erfuhr, dass er umgebracht wurde.«
»Wo ist sie?«
»Unten.«
»Super. Dann gehen wir mal zu ihr. Sag dem Mann von der Britischen Botschaft, ich komme, sobald ich kann. Aber zuerst will ich mit dieser Andrea sprechen.«
Als Magnus klar war, dass er nicht hinzugezogen wurde, ging er zu seinem Schreibtisch, wo eine Frau aus dem Büro des Polizeichefs auf ihn wartete. Sie hatte alles in die Wege geleitet: Handy, Bankkonto, Tagesspesen, Bezahlung, Vorschuss in bar und in ein paar Tagen sogar einen Wagen. Magnus war beeindruckt. Bei der Bostoner Polizei gab es mit Sicherheit niemanden, der so effizient arbeitete.
Nach
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