Magnus Jonson 02 - Wut
Abgesehen von heute Abend habe ich das letzte Mal mit ihm gesprochen, als er letzte Woche hier war. Das war am Donnerstag. Ich dachte, er wäre die ganze Zeit auf Fischfang gewesen.«
»Gut. Ich überprüfe das. Und wenn wir herausgefunden haben, ob Björn die Wahrheit sagt, können wir uns überlegen, wie wir weiter vorgehen.«
»Danke, Papa. Ich bin dir so dankbar.«
Sindri zündete sich die nächste Zigarette an und starrte auf seinen leeren Computerbildschirm. Auf dem klapprigen Tisch, den er als Schreibtisch nutzte, flogen Unmengen beschriebener Blätter herum, aber nichts davon war neu.
Seit einer Woche hatte er nichts mehr verfasst. Was kaum verwunderlich war. Er wollte so gern ins Grand Rokk gehen und sich von seinem Elend erlösen. Doch jetzt musste er mehr denn je zuvor einen klaren Kopf behalten.
Es klingelte. Sindri zog noch einmal kurz an seiner Zigarette und wappnete sich für den Besuch. Wahrscheinlich die Polizei. Er wusste, dass die Beamten wiederkommen würden.
Doch als er die Tür öffnete, stand seine Schwägerin davor.
Sindri grinste. »Freyja! Komm herein, komm rein!«
Er gab ihr einen Kuss auf die Wange und führte sie in seine Wohnung.
»Entschuldige die Unordnung. Ich bin gerade am Arbeiten. Möchtest du einen Kaffee?«
»Ja, gern.«
Freyja trug einen schwarzen Hosenanzug im Businesslook, ihre blonden Locken waren zu einem strengen Pferdschwanz zurückgenommen. Doch ihre Wangen hatten die gesunde Farbe der Berge.
»Du hast gar nicht Bescheid gesagt, dass du kommst. Was führt dich nach Reykjavík?«
»Wir haben am Wochenende ein Angebot für den Hof bekommen«, sagte Freyja. »Ein gutes. Vom Cousin eines Nachbarn. Er ist Bauernsohn und möchte seinen eigenen Grund und Boden. Erstaunlicherweise scheint er genug Geld zu haben, um es sich leisten zu können.«
Sindri runzelte die Stirn. »Das ist ja wohl eine gute Nachricht. Nimmst du es an?«
»Ich denke, ich kann nicht anders«, sagte Freyja. »Das ist bisher das einzig ernsthafte Angebot. Und es ist unsere einzige Möglichkeit, die Schulden zurückzuzahlen.«
»Du könntest auch der Bank sagen, sie kann dich mal«, sagte Sindri. »Und einfach auf dem Hof bleiben. Sollen sie doch versuchen, dich vor die Tür zu setzen. Du weißt, wie schwer es die Regierung den Banken heutzutage macht, Schuldner zwangszuenteignen.«
»Das ist doch alles nur aufgeschoben«, sagte Freyja. »Die Schulden werden sich nicht in Luft auflösen, wenn ich sie nicht abzahle. Auf diese Weise kann ich sie tilgen, und wir können unser Leben weiterführen.«
Eine Weile saßen sie schweigend da und schauten in ihren Kaffee. Sindri rauchte seine Zigarette. Es war der Bauernhof seiner Eltern, über den sie hier sprachen, ein Eigentum, das sein Urgroßvater vor einem Jahrhundert erworben hatte. Doch das war es nicht, was ihm naheging. Es waren Freyja und ihre Kinder. Die zerstörte Familie seines Bruders Matti.
»Du willst also nach Reykjavík ziehen?«, fragte er.
»Wir müssen«, erwiderte Freyja. »Ich muss arbeiten.«
»Hast du schon mit deinem Bruder gesprochen?«, fragte Sindri, weil ihm einfiel, dass Freyjas Bruder ihr einen Job angeboten hatte.
»Ja. Aber da ist nichts zu machen. Er musste letzte Woche offenbar drei Leute vor die Tür setzen, deshalb kann er es sich nicht leisten, jemand Neues einzustellen. Wie mich.«
»Und was hast du dann vor?«
»Mich umhören. Deshalb bin ich hier. Weißt du vielleicht jemanden, der eine freie Stelle hat?«
»Tut mir leid«, sagte Sindri. Da musste er nicht lange überlegen. Mehrere seiner Freunde hielten sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser. Er selbst konnte von Glück sagen, dass er noch Tantiemen von seinem Buch und das Schriftstellerstipendium bekam, das das Ministerium für Erziehung, Wissenschaft und Kultur an Autoren auszahlte.
»Ich weiß, dass ich keine richtige Ausbildung habe«, sagte Freyja. »Aber ich kann hart arbeiten. Ich bin stark. Ich kann gut rechnen. Ich bin ehrlich.«
»O ja«, sagte Sindri lächelnd. »Das bezweifle ich alles nicht im Geringsten. Ich glaube bloß einfach nicht, dass es was für dich gibt.«
»Ich könnte kellnern. Als Verkäuferin arbeiten. Oder als Putzfrau.«
»Tut mir leid.« Sindri zuckte mit den Schultern. »Ich bin nicht ganz der Richtige, wenn es um die Arbeitswelt geht.«
»Stimmt«, sagte Freyja, und Sindri meinte, in ihrem Blick eine gewisse Verachtung zu erkennen.
»Wo willst du wohnen?«
Freyja seufzte. »Weiß ich noch nicht.«
»Ihr
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