Magnus Jonson 02 - Wut
entsprach einer Neun im amerikanischen System, schätzte Magnus. Durchschnitt für einen Mann. Natürlich nur, wenn die Abdrücke dem Mörder gehörten.
Die Ermittlung kam nicht voran, doch das lag nicht am mangelnden
Einsatz. Snorri war ein tatkräftiger Leiter, Magnus spürte, unter welchem Druck er gestanden hatte. Die Akte platzte fast vor Befragungen, darunter auch ein Gespräch mit dem berühmten Schriftsteller Halldór Laxness. Benedikt hatte keine echten Feinde gehabt, doch mögliche Konkurrenten wurden befragt und ihre Alibis überprüft. Es gab einen für seine Empfindlichkeit berüchtigten Kollegen, dessen jüngstes Buch Benedikt mit beißender Ironie kritisiert hatte. Der Autor behauptete, er wäre den ganzen Abend allein zu Hause gewesen und hätte gelesen. Trotz dieses mangelhaften Alibis und Snorris Bemühungen gab es keinen Beweis, der ihn mit dem Mord in Verbindung gebracht hätte.
Es stellte sich heraus, dass Benedikt einen Gehirntumor hatte. In einem Gespräch erklärte ein Arzt vom Krankenhaus, er hätte Benedikt im Februar des Jahres eröffnet, dass er nur noch sechs Monate zu leben habe. Vom Timing ein bisschen daneben, dachte Magnus, aber nicht sehr weit. Man hatte sich umgehört, aber keiner von Benedikts Freunden oder Kindern schien etwas davon geahnt zu haben. Er hatte das Wissen für sich behalten.
Bei seinem Tod musste der Tumor schon relativ weit fortgeschritten gewesen sein. Magnus ärgerte sich, nicht den Befund der Gerichtsmedizin vorliegen zu haben. Aus der Akte ging ziemlich eindeutig hervor, dass Benedikt erstochen worden, die Suche nach einem Messer mit einer sieben Zentimeter langen Klinge jedoch erfolglos gewesen war. Mit ein wenig Glück würde der Befund in ein oder zwei Tagen auf Magnus’ Schreibtisch liegen.
Dann hatte Snorri begonnen, jeden Einbrecher zu befragen, der jemals in Reykjavík eingebuchtet worden war, ein großes Unterfangen, das Wochen in Anspruch nahm. Belustigt registrierte Magnus, dass Baldur Jakobssons Name unter vielen Protokollen dieser Befragungen auftauchte. Es gab keinen Hinweis, dass einer der Bewohner von Bjarnarhöfn vernommen worden war. Warum auch? Es war Jahrzehnte her, dass Benedikt Hraun verlassen hatte.
Snorri konnte keinen einzigen triftigen Anhaltspunkt finden.
Keine Verdächtigen, nichts. Fünfundzwanzig Jahre später war der Mord an Benedikt Jóhannesson immer noch ein absolutes Rätsel.
Magnus steckte die Akte in seine Tasche und verließ das Café. Es gab noch eine Sache bezüglich seines Großvaters, die er überprüfen wollte.
Das Einwohnermeldeamt befand sich direkt auf der Bogartún. Wie es sich für das Herz der nationalen Bürokratie gehörte, war es das schäbigste Gebäude der ganzen Straße. Magnus hatte Schwierigkeiten mit der Beamtin, die sein Abzeichen von der Bostoner Polizei mit gewisser Skepsis betrachtete. Er besaß immer noch keinen offiziellen Ausweis der Polizei von Reykjavík und würde ihn auch erst bekommen, wenn er die Polizeiakademie absolviert hatte. Als er jedoch erwähnte, dass er mit Vigdís Audarsdóttir zusammenarbeitete, lächelte die Beamtin, weil sie Vigdís offensichtlich kannte, rief kurz im Polizeipräsidium an und fragte Magnus dann, wie sie ihm helfen könne.
Es dauerte nur kurz, dann konnte sie Magnus bestätigen, was er bereits vermutet hatte. Auch wenn Hallgrím Gunnarsson von Bjarnarhöfn in Helgafellssveit eine kennitala beziehungsweise persönliche Kennnummer besaß, war ihm niemals ein Reisepass ausgestellt worden.
Björn bestellte an der Theke die zweite Tasse Kaffee. Der Laden hier war teuer. In Grundarfjörður würde man für einen Kaffee niemals so viel bezahlen.
Er nahm die Tasse mit an den Tisch, an dem er schon die letzten zwanzig Minuten gesessen hatte. Er befand sich in dem Café im oberen Bereich eines Gebäudes namens Perlan, die Perle, ein grauer kugelförmiger Bau auf Reykjavíks Heißwassertanks. Das Café erhob sich am höchsten Punkt einer kleinen Anhöhe, von der man auf die gesamte Stadt hinabsehen und die Zufahrtsstraße beobachten konnte. Man konnte unmöglich von einem Wagen verfolgt werden, ohne es zu bemerken.
Mit dem Pick-up hatte Björn etwas länger für die Fahrt nach
Reykjavík gebraucht als auf seinem Motorrad, war aber dennoch schnell gewesen. Wenn er nervös war, fuhr er oft sehr rasant. Und dass er nervös war, daran bestand kein Zweifel. Bald würde er Harpa gegenüberstehen. Er hoffte, dass er den Mut haben würde, seinen Plan
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