Magnus Jonson 02 - Wut
durchzuziehen.
Durch die große Glasfläche schaute er nach Westen übers Meer, das perlgrau in der Sonne glitzerte. Im Vordergrund sah er die sich unregelmäßig schneidenden Rollbahnen des Flughafens von Reykjavík. Und die Stelle, wo er vor neun Monaten Gabríel Örns Leiche entsorgt hatte.
Doch bevor Björn Harpa traf, musste er noch mit anderen Leuten sprechen. Wo blieben die nur?
»Björn! Wie geht’s?«
Er spürte einen kräftigen Klaps auf der Schulter, drehte sich um und erblickte Sindri, dahinter die schmale Gestalt von Ísak.
»Ich hole mir erst einen Kaffee«, sagte Sindri. »Wir haben eine Menge zu bereden.«
29
»Ist dir jemand gefolgt?«, fragte Sindri Björn, als er sich mit seinem Kaffee setzte.
»Nein. Du hattest recht, der Laden hier ist gut.«
»Wir müssen sichergehen, dass die Bullen uns nicht zusammen sehen«, sagte Sindri.
»Ich verstehe nicht, was Ísak hier zu suchen hat«, sagte Björn mit gerunzelter Stirn.
»Er ist gestern zurück nach Island gekommen«, erwiderte Sindri.
»Warum?«
»Die englische Polizei ist mir womöglich auf den Fersen«, erklärte Ísak. »Eine von der Kripo war bei mir und hat mich befragt. Wollte wissen, ob ich es gewesen bin, der sich bei Óskars Nachbarn erkundigt hat, wo er wohnt. Sie machte keinen Druck, aber sie ist misstrauisch. Deshalb dachte ich, ich komme besser zurück. Mache es ihr ein klein wenig schwerer.«
»Die Schmiere hier stellt auch unangenehme Fragen«, sagte Sindri. »Da gibt es so einen großen rothaarigen Wichser namens Magnús, der uns einfach nicht in Ruhe lässt. Irgendein Amerikaner.«
»Ich hab meiner Mutter erzählt, mir würde alles über den Kopf wachsen, ich bräuchte mal ein paar Tage Pause«, sagte Ísak. »Ich würde zelten fahren in der Natur. Damit ich einen klaren Kopf bekomme. Ich habe mir ihr Auto ausgeliehen, sie ist ohnehin zu krank, um noch damit zu fahren.«
»Hat sie dir geglaubt?«
»Sie fand wohl, dass ich mich etwas seltsam verhalte, aber sie wusste nicht, warum, und ich hab’s nicht gesagt. Das ist die beste Art, mit Eltern umzugehen. Bloß nichts erklären. Sollen die sich
doch den Kopf zerbrechen.« Ísak trank seinen Kaffee und schaute flüchtig zu Björn hinüber. »Sindri sagt, es gibt ein Problem mit Harpa?«
Björn mochte Ísak nicht, hatte ihn noch nie leiden können. Er war ihm zu cool. Zu eingebildet für einen Studenten. Sindri trug sein Herz auf der Zunge. Das von Ísak war gut versteckt, doch er musste eins haben, sonst konnte man solche Dinge gar nicht tun. Aber Ísak besaß die kühle, kalkulierte Entschlossenheit, einem sorgfältig ausgeklügelten Plan nachzugehen. Es war, als wollte er einen intellektuellen Wettstreit gewinnen und sei bereit, alles zu tun, um als Sieger daraus hervorzugehen. Björn musste sich gar nichts beweisen: Er wollte lediglich jene Menschen der Gerechtigkeit zuführen, die sein Leben und das von vielen seiner Landsleute zerstört hatten.
»Ja«, sagte er zu Sindri. »Sie hat sich in den Kopf gesetzt, dass wir – oder besser du, Sindri – hinter den Schüssen auf Óskar und Lister stecken. Sie hat letztens mit diesem Frikki gesprochen; er hat ihr diesen Floh überhaupt erst ins Ohr gesetzt. Mich hat sie auch verdächtigt, doch jetzt scheint sie zu glauben, dass ich unschuldig bin. Auf jeden Fall will sie zur Polizei gehen.«
»Davon musst du sie abhalten«, sagte Sindri. »Sie bringt sich nur selbst hinter Schloss und Riegel.«
»Sie glaubt, dass es noch ein Opfer geben könnte«, sagte Björn. »Sie will uns aufhalten, bevor der Nächste fällig ist.«
»Sie glaubt es, aber sie weiß es nicht«, sagte Sindri.
»Genau. Aber sie will mit der Polizei reden. Da bin ich mir sicher.«
»Und, was willst du dagegen unternehmen?«, fragte Ísak ruhig.
Björn holte tief Luft. »Ich werde sie ein paar Tage mitnehmen. In der Nähe von Grundarfjörður gibt es eine Hütte an einem der Bergpässe. Die ist total abgelegen. Wenn ich Harpa dort morgen und übermorgen unterbringen kann, reicht das.«
»Bis wir mit Ingólf Arnarson fertig sind, meinst du?«, fragte Sindri.
Björn nickte.
»Wie willst du sie überzeugen, dich zu begleiten?«, wollte Ísak wissen.
Björn zuckte zusammen. »Mit Charme. Überzeugungskraft. Und wenn das nicht funktioniert, mit Rohypnol.«
»Rohypnol? Wo hast du das denn her?«, fragte Sindri.
»Von einem Kumpel in Reykjavík. Einem Fischer.«
»Du hast komische Kumpel.«
Björn zuckte mit den Schultern. »Haben wir die nicht
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