Magnus Jonson 02 - Wut
einem Police Superintendent, der über Betrug und das Strafgesetzbuch sprach. Magnus trug die Uniform eines Sergeant der Bostoner Polizei. Alle an der Akademie trugen Uniform, Dozenten wie Studenten, nur die Zivilisten natürlich nicht. Der für die Akademie verantwortliche Superintendent hatte es für angemessen gehalten, dass Magnus die amerikanische Uniform statt die eines Polizeischülers trug, deshalb hatte Magnus eine aus Boston mitgebracht, als er im Mai noch einmal für wenige Tage in die Vereinigten Staaten geflogen war, um seine Zelte dort abzubrechen und nach Island zu ziehen.
Eigentlich sollte er sich konzentrieren. Bei der Prüfung durchzufallen und sie zu wiederholen, war das Letzte, was er wollte. Nur sah es jetzt leider so aus, als würde er in einem Flugzeug zurück in die Staaten sitzen, noch bevor er überhaupt die Möglichkeit hatte, die Prüfung abzulegen.
Ein Teil von ihm wollte Harpa, Björn und Sindri vergessen. Wenn Snorri ihm nicht zuhören wollte, war das sein verfluchtes Problem.
Aber wenn er recht hatte – und da war er sich verdammt sicher
–, dann würden die Personen, die auf Julian Lister geschossen hatten, die Óskar und wohl auch Gabríel Örn getötet hatten, ungeschoren davonkommen. Schlimmer noch, es konnte sein, dass noch ein armes Schwein ermordet würde, das Frau und möglicherweise Kinder hatte, wahrscheinlich sogar in den nächsten Tagen.
Das Handy an seiner Hüfte vibrierte. Unauffällig holte Magnus es aus der Tasche und sah auf das Display. Er kam sich vor wie ein Schuljunge. Es war Vigdís.
Während des Unterrichts Telefonate anzunehmen oder den Klassenraum zu diesem Zweck zu verlassen, war streng verboten. Vorsichtig steuerte Magnus auf die Tür zu.
Der Superintendent hielt inne. »Magnús?«
»Bin gleich wieder da«, sagte Magnus lächelnd. Er war draußen im Flur, ehe der Kollege ihn tadeln konnte.
»Ja, Vigdís, was gibt’s?«
»Wir haben den jungen Mann gefunden, der wegen dem Tränengas behandelt wurde. Frikki Eiríksson. War früher Beikoch im Hotel 101. Wurde im Dezember auf die Straße gesetzt. Wir haben eine Adresse in Breiðholt. Sollen wir ihn abholen?«
Magnus wusste zu schätzen, dass Vigdís ihn fragte. »Ja. Aber sprich es erst mit Baldur ab. Und sag mir Bescheid, wie die Befragung läuft.«
»Bis später«, sagte Vigdís.
Mit einem entschuldigenden Lächeln nahm Magnus wieder seinen Platz im Klassenzimmer ein.
Er saß im Auto und war auf dem Heimweg, als er eine SMS von Vigdís erhielt. Frikki war mit seiner Freundin unterwegs, seine Mutter wusste nicht, wohin die beiden wollten. Sie würden Magnus Bescheid sagen, wenn sie ihn fanden.
Er bückte sich und betrachtete das vergrößerte Bild im Sucher der Kamera auf dem Stativ. Das lange Objektiv war über den Tjörnin
hinweg gerichtet, den großen See im Zentrum von Reykjavík, der eine wichtige Zwischenstation für die Vögel bei ihrem Flug über den Nordatlantik darstellte. In seinem blassblauen Wasser spiegelte sich der Himmel, tummelten sich Schwäne, Gänse, verschiedene Entenarten, Seeschwalben, Blässhühner und jede Menge anderer Vögel. Sie paddelten und planschten, glitten dahin und stießen herunter, ein geschäftiges Gewimmel.
Am hinteren Ende des Sees war besonders viel los, hinter dem Parlamentsgebäude und dem futuristischen kastenförmigen Bau aus Glas, Stahl und Chrom, in dem sich das Rathaus befand. Dort fütterten immer Einheimische und Touristen die Vögel. Das Brummen der Menge, die sich auf dem Austurvöllur-Platz zur Icesave-Kundgebung versammelt hatte, schwebte aus der Ferne zu ihm herüber.
Er tat so, als würde er den Vögeln im Wasser zusehen, doch das stimmte nicht. Tatsächlich beobachtete er eines der großen weißen Häuser am hinteren Ufer des Tjörnin.
Bereits seit zwei Stunden beschattete er dieses Haus. Er war überzeugt, dass es nicht bewacht wurde, es standen keine Polizeifahrzeuge davor, niemand war im Garten zu sehen, weder in Uniform noch ohne. Er freute sich zu sehen, dass der Wagen der Zielperson, ein schwarzer Mercedes-Geländewagen, neben dem Haus geparkt war, fast uneinsehbar von der Straße. Dahinter waren eine Hecke und kleine Bäume. Ein möglicher Zugang. Musste noch geprüft werden.
Während er wartete und beobachtete, bildete sich eine Idee in seinem Kopf.
Die Zielperson kam aus der Haustür, ging um den Wagen herum, stieg ein und fuhr davon.
Er löste die Kamera vom Stativ, klappte es zusammen und ging.
Er wusste, was er tun
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