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Magnus Jonson 02 - Wut

Magnus Jonson 02 - Wut

Titel: Magnus Jonson 02 - Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ridpath
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würde.

    Ingileif schob sich durch die Menschenmenge auf dem Platz vor dem Parlamentsgebäude und hielt Ausschau nach der eindrucksvollen
Gestalt von Sindri. Es waren mehrere hundert Teilnehmer vor Ort. Die Atmosphäre war anders als bei den Demonstrationen, an denen Ingileif im Winter teilgenommen hatte. Die Leute waren ernster geworden. Die Wut war da, doch sie war gedämpft. Es gab keine Töpfe und Pfannen, keine Nebelhörner, keine vermummten Anarchisten und nur sehr wenige Polizisten. Weniger Aufregung, mehr stille Entschlossenheit.
    Es dauerte nicht lange, da entdeckte Ingileif Sindris braunen Lederhut und seinen grauen Pferdeschwanz. Sie drängelte sich zu ihm durch. Er unterhielt sich mit den Leuten, die um ihn herum standen. Dann entdeckte er sie.
    »Ingileif?«
    Sie drehte sich zu ihm um und lächelte breit. »Sindri! Es wundert mich nicht, dich hier zu sehen.«
    »Die Sache ist wichtig«, sagte er.
    »Und wie«, bestätigte sie. »Weißt du, wer heute spricht?«
    »Alte Schwätzer«, sagte Sindri. »Ich weiß gar nicht, warum ich mir die Mühe gemacht habe herzukommen. Sie werden sagen, wir sollen uns weigern, die Briten zu bezahlen, aber mehr wird es nicht sein: leeres Gerede.« Er deutete auf die Menge. »Schau dich doch um! Ich hatte auf einen revolutionären Funken gehofft. Auf Menschen, die bereit sind, etwas zu tun. Die hier sehen doch aus, als wären sie in der Kirche und hörten die Predigt.«
    »Ich weiß, was du meinst«, sagte Ingileif. »Wir müssen dafür sorgen, dass sie Angst bekommen.«
    Sindri musterte sie neugierig. »Wer?«
    »Die Briten natürlich«, sagte Ingileif. »Wir müssen ihnen zu verstehen geben, dass es hier einen Aufstand gibt, wenn sie uns nichts Besseres anbieten. Haben wir doch schon mal gemacht. Warum nicht noch einmal?«
    »Du hast völlig recht«, sagte Sindri. Ingileif spürte, dass er sie mit einer Mischung aus Bewunderung und, ja, Begierde betrachtete. Das war in Ordnung.
    Eine Frau, die zu den Organisatoren gehörte, griff zum Mikrophon
und hielt eine kleine Rede: Sie würde für alle sprechen, wenn sie zum Ausdruck brächte, wie entsetzt das isländische Volk über die Schüsse auf Julian Lister sei.
    »Wir sind keine Terroristen, Mr. Lister!«, brüllte Sindri in Ingileifs Ohr. Den Slogan kannte die Menge aus dem vergangenen Herbst, doch niemand nahm ihn auf. Die Menschen neben Sindri wandten sich stirnrunzelnd ab. Einige machten ihm Zeichen, still zu sein.
    »Armselig …«, murmelte Sindri.
    Es folgten mehrere Reden, einige klangen für Ingileif aufmunternd, doch Sindri gefiel keine einzige. Er meckerte immer lauter, bis er schließlich sagte: »Ich halte das nicht mehr aus.«
    »Ich auch nicht«, entgegnete Ingileif.
    »Dieses Land hat einfach kein Rückgrat«, meinte er.
    »Du hast doch ein Buch darüber geschrieben, oder?«, fragte Ingileif. »Kannst du mir was darüber erzählen?«
    Sindri lächelte. »Mit Vergnügen. Komm, wir holen uns einen Kaffee.«

31
    Die Hütte lag einsam in einem abgelegenen Tal. Mit Geduld manövrierte Björn seinen Pick-up hinunter, hoppelte mit ihm über die Schlaglöcher. Die Straße war in einem erbärmlichen Zustand. Björn wunderte sich, dass Harpa durch das Gerüttel nicht wach wurde.
    Die Straße war schon immer schlecht gewesen. Jahrelang, nein, jahrhundertelang war sie die direkteste Verbindung von Stykkishólmur nach Borgarnes im Süden. Sie wand sich um bizarre vulkanische Formationen, unter anderem um die berühmte Kerlingin mit ihrem Sack voll versteinerter Kinder auf dem Rücken. Schließlich hatte die Regierung eine neue Verbindung über einen parallelen Pass einige Kilometer westlich gebaut. Es gab jetzt keinen Grund mehr, hier vorbeizufahren. Dadurch hatte sich der Zustand der Straße noch weiter verschlechtert.
    Die Hütte war alt, wohl über hundert Jahre. Sie war gebaut worden, um Reisenden Schutz zu bieten, die auf dem Pass nicht mehr weiterkamen. Björn hatte als Kind mehrmals mit seinem Onkel und seiner Tante dort übernachtet, nur so aus Spaß. Die Hütte lag unweit der holprigen Straße auf einer Anhöhe, damit sie nicht unter Schneewehen begraben werden konnte. Felswände erhoben sich zu beiden Seiten des Tals mit seinen Wasserfällen und Flüsschen, die sich später zu einem größeren Strom sammelten, der entlang der Straße verlief. Es gab einige Gras- und Moosflächen, doch hauptsächlich bestand das Tal aus Geröll, Stein und nacktem Fels. Auf der Fahrt von Reykjavík hier hinauf war der Himmel klar

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