Magnus Jonson 02 - Wut
war die Kacke am Dampfen, der Aktienkurs fiel praktisch auf null, die Bank wurde verstaatlicht. Aber der Kredit, den ich aufgenommen hatte, der war aus irgendeinem Grund immer noch da.«
»Wahrscheinlich waren alle anderen auch betroffen?«
Harpa lachte, doch es wirkte fast hysterisch. »Viele von uns. Aber nicht der wahre ›goldene Zirkel‹. Während wir kauften, hatten sie ihre Aktien abgestoßen. Gabríel verkaufte drei Viertel seiner Aktien und konnte seine gesamten Kredite zurückzahlen.«
»Deshalb hast du mit ihm Schluss gemacht?«, fragte Magnus.
»Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nichts von all dem.« Harpa seufzte und gab ihre Verteidigungshaltung auf. »Er machte einfach Schluss. Eine interne Regel in allen Banken verbot früher Beziehungen am Arbeitsplatz. Als Guðmund kam, wurde die Regel wieder eingeführt. Ratet mal, wer gehen musste!«
»Das ist schlimm«, sagte Magnus.
»Allerdings. Obwohl mir meine Freunde, kaum war ich weg, erzählten, dass Gabríel ohnehin eine Affäre mit einer dreiundzwanzigjährigen Praktikantin hatte. War also sehr praktisch für ihn.«
Harpas Verbitterung war nun deutlich stärker als ihre anfängliche Unsicherheit.
»Kannst du mir erzählen, was am Abend seines Todes geschah?«
»Als er sich umbrachte, meinst du?«
»Als er starb«, wiederholte Magnus bestimmt.
»Aber das habe ich deinen Kollegen schon im Januar geschildert.«
»Erzähl es uns noch mal«, forderte Magnus. Er hatte seinen Notizblock hervorgeholt. Auf dem Weg nach Seltjarnarnes hatte er Árnis Mitschrift jener ersten Befragung überflogen, sie war jedoch sehr lückenhaft.
Harpa zögerte, so als suchte sie nach einem Ausweg. Es gab keinen.
»Am Nachmittag war ich bei der Demonstration auf dem Austurvöllur-Platz vor dem Parlamentsgebäude. Da habe ich einen Mann kennengelernt, Björn Helgason. Als die Versammlung mittels Tränengas aufgelöst wurde, ging ich mit zu ihm.«
»Wo war das?«, fragte Magnus.
»Oben auf dem Hügel bei der katholischen Kathedrale. Genau genommen war es die Wohnung seines Bruders. Björn wohnt in Grundafjörður; er übernachtete bei seinem Bruder, damit er zur Demo gehen konnte.«
»War Björns Bruder auch da?«
»Nein, der war irgendwo unterwegs.«
»Wie ging es weiter?«
»Wir tranken etwas. Unterhielten uns. Es ging so weit, dass ich dachte, es könnte etwas werden. Aber dann … ich bekam wohl kalte Füße. Ich hatte ein schlechtes Gewissen wegen Gabríel. Ich wollte ihn unbedingt sehen. Deshalb rief ich ihn an und fragte ihn, ob er sich mit mir im B5 auf der Bankastræti treffen könnte.«
»Was hielt Björn davon?«
»Er war enttäuscht, benahm sich aber wie ein Gentleman. Er bestand darauf, mir seine Nummer zu geben.«
»Wie ging es weiter?«
»Ich ging rüber zur Bankastræti, ins B5, und wartete dort. Gabríel kam aber nicht. Irgendwann war ich leicht angetrunken. Ein Student machte mich dumm an. Ich gab ihm eine Ohrfeige. Er schlug zurück. Mehrere Männer griffen ein und halfen mir. Der Barkeeper warf den Studenten raus.«
»Wie hieß der Student?«, fragte Magnus. Er kannte die Antwort aus Árnis Notizen.
»Ísak, glaube ich«, sagte Harpa. »Weiß es aber nicht mehr genau.«
»Und dann?«
»Dann bekam ich eine SMS von Gabríel. Darin stand so was wie: ›Bin schwimmen. Sorry. Tschüs.‹ Ich begriff es nicht richtig, aber zu dem Zeitpunkt war ich schon ziemlich betrunken. Ich dachte wohl, es wäre wieder so eine typische Aktion von Gabríel, mit der er mir mitteilen wollte, dass er mich versetzte. Deshalb rief ich Björn an und bat ihn, mich abzuholen.«
»Um wie viel Uhr war das?«, fragte Magnus.
»Weiß ich nicht. Um zwölf? Eins? Zwei? Habe ich damals deinem Kollegen erzählt.«
Aber der hat’s leider nicht aufgeschrieben, dachte Magnus.
»Gut. Und wo bist du mit Björn hingegangen?«
»Wieder zu seinem Bruder«, antwortete Harpa. »Und wie es weiterging, könnt ihr euch ja denken.«
»Hast du den Bruder auch kennengelernt?«
»Ja, aber erst am nächsten Morgen. Als ich gerade gehen wollte.«
»Um wie viel Uhr war das?«
»Keine Ahnung. Weiß ich nicht mehr. Aber auf dem Heimweg – ich bin zu Fuß gegangen, das weiß ich noch – musste ich wieder an die SMS von Gabríel denken. Zuerst war ich mir nicht sicher, aber als ich zu Hause ankam, meldete ich mich bei der Polizei.«
Die Geschichte war möglich, wenn auch sehr weit hergeholt. Doch eine Sache ergab für Magnus keinen Sinn: »Warum hast du Gabríel Örn überhaupt
Weitere Kostenlose Bücher