Magnus Jonson 02 - Wut
desto besser.
Das Café war so überfüllt mit Büromenschen, dass es kaum einen Sitzplatz gab. Sie besorgten sich ihre morgendliche Ration Koffein, meistens zum Mitnehmen.
»Ich freu mich, dass du angerufen hast«, sagte Sibba auf Englisch. »Hatte ich nicht mit gerechnet.«
»Ich auch nicht«, erwiderte Magnus. »Es war irgendwie seltsam, dich gestern zu sehen.«
»OBG ist ein guter Kunde unserer Kanzlei, wie du dir vorstellen kannst. Willst du mich wegen Óskar Gunnarsson befragen? Das könnte kompliziert werden.«
»Nein, nein.« Magnus holte tief Luft. »Ich wollte über unsere Familie sprechen.«
»Hatte ich mich schon gefragt«, sagte Sibba. »Hast du irgendjemanden von den Verwandten gesehen, seit du hier bist?«
»Nur dich das eine Mal.«
»Ich verstehe gut, warum du ihnen aus dem Weg gehst, besonders nach dem, wie Großvater dich behandelt hat, als du das letzte Mal hier warst.«
Mit zwanzig Jahren war Magnus nach Island gereist, kurz nach dem Tod seines Vaters. Er hatte versucht, so etwas wie eine Versöhnung mit der Familie seiner Mutter herbeizuführen. Es hatte nicht geklappt.
»Warst du in letzter Zeit mal auf Bjarnarhöfn?«, fragte Magnus.
»Ja. Im Juli war ich ein paar Tage mit meinem Mann und den Kindern in Stykkishólmur, bei Onkel Ingvar. Er arbeitet dort als Arzt am Krankenhaus. Ein paarmal haben wir Großvater und Großmutter besucht.«
»Wie geht es ihnen?«
»Sehr gut, in Anbetracht ihres Alters. Haben beide noch alle Sinne beisammen. Und Großvater werkelt noch immer auf dem Hof herum.«
»Aber die meiste Arbeit erledigt Onkel Kolbeinn?«
»Ja, klar. Er wohnt im großen Haus. Großvater und Großmutter sind in eines der Nebengebäude gezogen.«
Bjarnarhöfn bestand aus mehreren Gebäuden: Scheunen, drei Häuser und, nicht zu vergessen, die kleine Kirche unten am Fjord.
»Hat er sich sehr verändert?«
»Nein. Er ist ziemlich festgefahren in seiner Art.«
»Das alte Schwein«, murmelte Magnus.
Sibba sah ihn verständnisvoll an. »Dir hat’s nicht gerade gut gefallen auf Bjarnarhöfn, was?«
»Nein. Du kannst von Glück sagen, dass du in Kanada aufgewachsen bist, weit fort von denen.«
»Ich erinnere mich an Besuche, als ich klein war«, sagte Sibba.
»Ich weiß sogar noch, dass ich auf Bjarnarhöfn übernachtete, als Óli und du da wohnten. Ihr beide wart sehr still. Als hättet ihr Angst vor Großvater.«
»Hatten wir auch. Besonders Óli.« Magnus schüttelte sich. »Es ist immer noch schwierig, daran zu denken. Weißt du, dass Óli und ich nie mehr darüber geredet haben, seit wir nach Amerika gegangen sind? Als ob die gesamten vier Jahre aus unserem Gedächtnis gelöscht wären.«
»Bis ich auftauchte?«, sagte Sibba. »Das tut mir leid. Ich hätte dir nie von deinem Vater und der anderen Frau erzählen sollen. Ich kam nur nicht auf die Idee, dass du es nicht wüsstest – der Rest der Familie hat sich darüber ständig das Maul zerrissen. Aber ich war natürlich älter als du. Óli und du, ihr wart damals noch Kinder.«
»Ich bin froh, dass du’s getan hast, Sibba. Dazu wollte ich dich übrigens auch was fragen.«
»Wirklich?«, sagte Sibba.
»Ja.« Magnus nickte. »Ich muss herausfinden, was mit meinen Eltern geschah. Es nagt an mir, seit mein Vater ermordet wurde.«
Sibbas Augenbrauen gingen überrascht in die Höhe. »Das hat doch nichts hiermit zu tun, oder?«
»Das bezweifle ich. Aber ich bin Polizist, ich frage gern so lange, bis ich Antworten bekomme. Du bist das einzige Familienmitglied, mit dem ich reden kann. Die anderen hat Großvater ziemlich gegen mich aufgewiegelt.«
Hallgrím, Magnus’ Großvater, hatte drei Söhne und eine Tochter: Der älteste Sohn war Vilhjálm, der mit gut zwanzig nach Kanada ausgewandert war, dann kamen Kolbeinn, Ingvar und Margrét, Magnus’ Mutter. Sibba war Vilhjálms Tochter, die in Kanada groß geworden und dort zur Schule gegangen war, aber nach der Uni wieder nach Island gezogen war, wo sie Jura studierte und dann Karriere als Anwältin in Reykjavík machte. Von allen Verwandten mütterlicherseits hatte Magnus sie immer am liebsten gemocht.
Sibba musterte ihn. »Dann schieß mal los! Ich weiß nicht, ob ich dir helfen kann.«
Magnus nippte an seinem Kaffee. »Weißt du, wer die andere Frau war?«
»Wusste ich mal, aber … nein … ich habe den Namen vergessen.« Sibba versuchte sich zu erinnern, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein. Aber es fällt mir noch ein. Sie war Tante Margréts beste Freundin in
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