Magnus Jonson 02 - Wut
der Schule. Sie wohnte in Stykkishólmur. Die beiden gingen zusammen zur Lehramtsausbildung nach Reykjavík.«
»Hat sie an derselben Schule unterrichtet wie meine Mutter?«
»Keine Ahnung.«
»Hast du sie mal gesehen?«
»Nein. Aber ich habe von ihr gehört. Wenn du willst, frage ich meinen Vater.«
»Das wäre super. Aber tu mir einen Gefallen: Sag ihm nicht, dass ich es bin, der das wissen will.«
»Na gut«, sagte Sibba widerwillig. Sie sah auf die Uhr. »Ich muss los. In fünf Minuten habe ich eine Besprechung.«
Sie stand auf und gab Magnus einen Kuss auf die Wange, eine freundliche Geste. Magnus hatte nicht mehr viele Angehörige in Island.
»Bist du dir sicher, dass du das alles wissen willst?«, fragte Sibba.
Magnus nickte. Ingileif hatte recht. »Auf jeden Fall.«
Björn fuhr mit dem Motorrad die kurze Strecke von Seltjarnarnes zum Hafen. Harpa war früh zur Arbeit in der Bäckerei aufgebrochen und hatte Markús unterwegs bei ihrer Mutter abgegeben. Björn hatte Harpa erzählt, er müsse zurück nach Grundarfjörður, um mit einem Trawler einige Tage herauszufahren. Ein, zwei Stunden blieben ihm noch, deshalb fuhr er an seinen Lieblingsplatz in Reykjavík.
Er stellte das Motorrad ab und bummelte am Kai entlang. Es waren nicht viele Schiffe da: ein großer russischer Trawler, zwei Boote von den Westmännerinseln und einige deutlich kleinere
Fahrzeuge. Der alte Hafen von Reykjavík war natürlich viel größer als der von Grundarfjörður, doch inzwischen war es hier ruhiger geworden. Die Konzentration von Fangquoten auf immer weniger Inhaber hatte in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren dazu geführt, dass es immer weniger Schiffe gab, und die da waren, verbrachten immer mehr Zeit draußen auf dem Meer. Alles lief viel effizienter ab, und Island war eines der wenigen Länder auf der Welt, dessen Fischer noch ihr eigenes Geld verdienten, statt sich von der Regierung subventionieren zu lassen. Aber diese Umschichtung hatte ihren Preis gehabt: schrottreife Boote, Fischer ohne Arbeit, ganze Gemeinden, die wie ausgestorben waren.
Bis zur kreppa hatte Björn von all dem profitiert. Sein Onkel in Grundarfjörður war einer der Ersten gewesen, dem eine Quote zugeteilt wurde. Es kamen nur die Männer in ihren Genuss, die zwischen 1980 und 1983 auf Fang gegangen waren. Die Quote beinhaltete das Recht, einen gewissen Prozentsatz einer Gesamtsumme zu fischen, die jedes Jahr vom Meeresforschungsinstitut und dem Fischereiministerium festgelegt wurde und sich nach der Größe der Fischvorkommen richtete. Die glücklichen »Quotenkönige«, wie sie bald genannt wurden, waren entweder weiter rausgefahren oder hatten ihre Quote für Millionen, manchmal sogar für Hunderte Millionen von Kronen an größere Unternehmen verkauft. Einar, Harpas Vater, hatte genau das getan. Björns Onkel hatte seine Quote und sein Schiff Lundi zu einem moderaten Preis an Björn weitergegeben, dennoch hatte Björn dafür viel Geld bei der Bank aufnehmen müssen.
Seit er dreizehn war, fuhr er mit seinem Onkel hinaus aufs Meer. Er war ein Naturtalent. Man sagte ihm nach, er könne sich in den Kabeljau hineinversetzen, außerdem hatte er die neue Technik zur Kartographierung des Meeresbodens und zum Lokalisieren großer Fischschwärme schnell begriffen und zu seinem Vorteil genutzt. Bald hatte Björn den Großteil seiner Schulden abbezahlt. Er stockte seinen Kredit auf, um die Quote eines kleinen Fischers aus Grundarfjörður aufzukaufen. Die Quote bezog sich immer auf
eine Fangmenge und war nicht an ein bestimmtes Boot gebunden. Das Geheimnis des Erfolges war also, für sein Schiff eine möglichst hohe Quote zu ergattern. 2007 lieh Björn sich noch einmal Geld, um sich eine dritte kleine Quote und moderne Elektronik für die Lundi zu kaufen.
Ein alter Schulfreund aus Grundarfjörður, Símon, der es vorgezogen hatte, Banker zu werden statt Fischer, und gerade eine isländische Bank zugunsten eines Hedgefonds in London verlassen hatte, erteilte ihm Ratschläge. Momentan leihe man sich einen Mix aus Schweizer Franken und Yen, weil die Zinsen niedrig seien und die isländische króna stark bleiben würde. So machte es Símon auch im großen Maßstab mit seinem Hedgefonds, und es brachte ihm ein Vermögen ein.
Björn setzte den Rat seines Freundes um, und eine Weile lief es gut. Dann begann die Krone an Wert zu verlieren, und obwohl die Zinsen noch niedrig waren, wuchs Björns Schuldenlast schnell an. Als die kreppa richtig zuschlug,
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