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Magnus Jonson 02 - Wut

Magnus Jonson 02 - Wut

Titel: Magnus Jonson 02 - Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ridpath
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nächsten Nebenstraße entfernt,
vier Kilometer vom nächsten Gehöft. Weit entfernt von jeder Menschenseele, außer Sicht, außer Hörweite.
    Er schaute hinauf zur üppig grünen Flanke des Bergs. Es war noch dunkel, doch an den Rändern nahmen die sich an den oberen Hängen sammelnden Wolken bereits einen bläulichen Grauton an. Es wehte ein leichter Wind, jedoch nicht so stark wie am Vortag. Er hoffte, dass am Zielort weniger Wind herrschte und er gute Sicht hätte.
    Zehn Minuten später befand er sich mitten in den Wolken. Noch einmal zwanzig Minuten, und er hatte sie hinter sich gelassen. Er stapfte hinunter ins Tal, zu beiden Seiten erhoben sich Felsen, nur entlang eines kleinen Flüsschens zog sich ein flacher Streifen Sumpfgras. Ein abgelegener Ort. Still. Und windgeschützt. Perfekt.
    Inzwischen dämmerte es, und die Sonne versteckte sich hinter dichten Wolken. Er blieb stehen und ließ die Tasche von seiner Schulter gleiten. In der Nähe stieß ein unsichtbarer Goldregenpfeifer seine Rufe aus.
    Er zog den Reißverschluss der Tasche auf und holte das Gewehr heraus, ein Remington 700, ein Repetierer. Es war drei Jahre her, dass er es zum letzten Mal benutzt hatte, er war außer Übung. Neben einem Steinbrocken entdeckte er einen Fleck halbwegs trockenen Grases und legte die Waffe dort ab. Dann holte er den leeren Benzinkanister aus der Tasche und maß entlang dem Bach hundertfünfundzwanzig Meter ab. Die Strecke hatte ein leichtes Gefälle, deshalb hielt er Ausschau nach einem geeigneten Felsbrocken, auf den er den Kanister stellen konnte, damit er ungefähr auf derselben Höhe wäre wie der Stein. Dann kehrte er zu seinem Gewehr zurück.
    Am nächsten Tag würde er genau eine Chance haben. Er würde ein ähnliches Gewehr benutzen, dasselbe Modell, aber nicht dieselbe Waffe. Die Munition war identisch, das hatte er geprüft: Remington 7 mm. Sie hatten bei Google Earth den Abstand geschätzt, irgendwas zwischen hundert und hundertfünfzig Metern.
Bis auf zweihundert Meter traf das Projektil eigentlich ziemlich genau. Bei hundertfünfundzwanzig Metern hatte es eine Abweichung von ungefähr sechs Zentimetern. Daher musste er ein wenig tiefer zielen, nur ein ganz klein bisschen. Sechs Zentimeter waren nicht viel im Vergleich zur Brust eines Mannes.
    Da er ein unbekanntes Gewehr benutzen würde und keine Zeit hätte zu prüfen, ob das Visier korrekt justiert war, hatte er sich entschlossen, ohne Zielfernrohr zu arbeiten. Außerdem war ein Zielfernrohr empfindlich und konnte sich verstellen, wenn man die Waffe versteckte. Also alles so schlicht wie möglich halten, dann konnte weniger schiefgehen.
    Mit der Handfeuerwaffe hatte er keine Probleme gehabt, obwohl er vor dem vergangenen Abend noch nie eine benutzt hatte. Aus zwei Meter Abstand hatte er den Banker nicht verfehlen können. Alles war perfekt vorbereitet gewesen: der Plan, die Waffe, das Motorrad. Er hoffte, dass es diesmal genauso gut klappen würde. Es gab keinen Grund zur Sorge, etwas anderes anzunehmen.
    Er legte sich ins Gras, stützte das Gewehr auf dem Stein ab und zielte auf den Benzinkanister. Dann senkte er den Lauf leicht, um das Gefälle auszugleichen, und betätigte vorsichtig den Abzug. Er spürte den vertrauten Stoß in der Schulter, hörte das Echo des Schusses in dem kleinen Tal, sah aber nur Steinsplitter unter dem Kanister. Zwei Goldregenpfeifer flatterten auf und beschwerten sich lautstark.
    Er fluchte. Er hatte das Gefälle zu stark kompensiert. Noch einmal laden und spannen. Er zielte. Drückte wieder ab. Diesmal flog der Kanister rückwärts vom Felsblock. Er zielte, schoss erneut. Der Behälter wirbelte durch die Luft. Noch einmal. Und noch einmal.
    Er grinste. Er hatte es drauf.

    »Das war ja ein heftiger Abend«, sagte Sharon. Sie saß mit Magnus im Besprechungszimmer und trank starken schwarzen Kaffee. Die britische Kollegin sah aus wie der Tod. »Ist schon länger her, dass ich so gefeiert habe.«

    »Ganz normaler Freitagabend in Island«, sagte Magnus. »Oder besser gesagt: ein halber.«
    »Wieso ein halber?«
    »Tja, wir sind so gegen eins nach Hause gegangen, glaube ich. Die meisten machen normalerweise nicht vor vier, fünf Uhr Schluss.«
    »Tja, die jungen Leute«, sagte Sharon. »Oh, hallo, Vigdís. Du siehst gar nicht so schlecht aus.«
    »Gódan daginn« , sagte Vigdís lächelnd. Sie hatte ebenfalls eine Tasse Kaffee in der Hand und setzte sich zu ihnen. »Og takk fyrir sídast.«
    Sharon lachte. »Ah, hab verstanden.

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