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Magnus Jonson 02 - Wut

Magnus Jonson 02 - Wut

Titel: Magnus Jonson 02 - Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ridpath
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Magnus.
    Die Sagas glichen den großen architektonischen Vermächtnissen anderer Kulturen. In einem Land ohne nennenswerte Siedlungen und mit nur wenigen eindrucksvollen Bauwerken suchten die Isländer ein Gefühl für ihre Vergangenheit und ihre Identität in ihrer Literatur. In seiner Jugend und später als junger Erwachsener in Amerika hatte Magnus diese mittelalterlichen Erzählungen wie manisch immer und immer wieder gelesen, im Kopf die Felder und Fjorde des zehnten Jahrhunderts heraufbeschworen.
    Die Sagas waren eine Zuflucht für den einsamen Jungen gewesen, der sich seiner unübersichtlichen amerikanischen Mittelschule nicht gewachsen fühlte. Egil gehörte zu den außergewöhnlichsten Figuren der Sagas: ein mutiger, grausamer Krieger, der in Norwegen und England gegen alle Widrigkeiten kämpfte, ehe er
auf seinen Hof in Borg zurückkehrte. Gleichzeitig war er ein Dichter, dessen Klagelied auf seinen ertrunkenen Sohn Magnus auswendig kannte. Es war ein erhebendes Gefühl, jetzt an diesem Gehöft vorbeizufahren.
    Die Straße war in gutem Zustand, es herrschte kaum Verkehr. Die Flanken der Berge glühten orangegolden in der tiefstehenden Herbstsonne, die Schafe glichen runden Wollkugeln, bereit für den bevorstehenden Winter. Bald näherte sich Magnus der Halbinsel Snæfells, ein Höhenzug aus schartigen Bergen unter dem Gletscher Snæfells, eine weiße Kuppel am westlichen Ende über einem untätigen Vulkan. In Jules Vernes Buch befand sich dort der Zugang zum Mittelpunkt der Erde. In Vegamót nahm Magnus die Abzweigung hinauf zum Pass, in die Berge. Die Straße wand sich empor, bis sie den Pass erreichte und der Breiðafjörður sich vor ihm erstreckte.
    Er hielt am Straßenrand.
    Unter ihm war das Berserkjahraun, ein erstarrter Lavastrom, der sich in dramatischen graugrünen Falten zum Meer hinunter ergoss. Im Vordergrund zog sich der Schweinesee am Rande der Lava entlang, das Wasser stand niedrig zu dieser Jahreszeit. Unten am Ufer lag der Hof Hraun, und auf der anderen Seite der kleinen Bucht drückte sich Bjarnarhöfn an seinen eigenen Berg.
    Magnus’ gute Laune verflog. Eiskalte Finger schlangen sich um seine Brust. Die Ängste der Kindheit verließen ihn nie. Jenseits des Berges zu seiner Rechten verlief eine parallele Passstraße, wo die Kerlingin mit dem steinernen Sack voll kleiner Kinder über der Schulter stand. Unten streiften die ermordeten schwedischen Berserker über das Lavafeld. Über die Heide im Osten strich der Geist von Þorolf Hinkefuß, vor tausend Jahren von seinem Nachbarn Arnkel getötet.
    Und auf dem Hof da unten, hier und heute im einundzwanzigsten Jahrhundert, lebte Magnus’ Großvater Hallgrím.
    Magnus schüttelte den Kopf. Wie konnte er, ein gesunder Fünfunddreißigjähriger, der schon so manch gefährliche Situation
überstanden hatte, sich vor einem alten Mann von über achtzig Jahren fürchten?
    Aber es war nicht nur der Mann. Es waren die Erinnerungen.
    Magnus schaute nach rechts, über den Hafen Helgafell nach Stykkishólmur, eine Ansammlung weißer Tupfer am Ufer. Irgendwo inmitten dieser Tupfer wohnte Unnur Ágústsdóttir mit ihren Antworten auf andere Fragen.
    Doch zuerst musste er Björn finden.

    Grundarfjörður lag hinter Berserkjahraun zwanzig Kilometer weiter westlich an der Küste. Es war ein kompakter Fischerort mit weißen Häusern, einer Kirche und großen Schuppen für die Verarbeitung von Fisch, die sich um den halbmondförmigen Hafen drängten. Dahinter zog sich Heideland mit braunem Gras und Wasserfällen bis zu den Bergen empor. Auf einer Seite erhob sich aus dem Meer ein Turm aus grüngrauen kreisförmigen Felsen, der Kirkjufell beziehungsweise Kirchberg genannt wurde.
    Björns Haus war ein kleiner einstöckiger Bau am Westrand des Orts, nah am Ufer, im Schatten der Berge.
    Es war niemand daheim. Die Nachbarin sagte, sie hätte Björn seit mehreren Tagen nicht gesehen.
    Magnus fuhr zum Hafenbüro. Der Hafenmeister, ein großer Mann mit schütterem rotblondem Haar und Brille, kannte Björn Helgason gut. Bei einer Tasse Kaffee erklärte er, Björn habe sein Schiff vor ein paar Monaten verkauft, um seine Schulden zu begleichen, und ließe sich nun von anderen Kapitänen in Grundarfjörður, Stykkishólmur oder aus den Häfen an der Nordküste der Halbinsel anheuern. Es gebe drei Fischereifirmen in der Stadt, bei denen Magnus nachfragen könnte.
    Das tat er, erfolglos. Soweit alle wussten, war Björn nicht auf einem von ihren Schiffen.
    So ein Mist! Es

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