Magyria 02 - Die Seele des Schattens
Tibor, »der in dem komischen Kostüm … der wurde also hier unten gebissen?« Es klang wie eine Frage, auf die er die Antwort lieber nicht wissen wollte.
»Nein«, gab Atschorek zurück. »Nicht hier. In Akink. Sie sind danach hergekommen. Aber du musst jetzt still sein. Ich will ihn hören, wenn er hier irgendwo ist. – Wilder! Wilder, Bruderherz, komm zu mir!«
»Sie sind doch hoffentlich bewaffnet, oder?«, fragte der Ticketverkäufer mit bebender Stimme.
»Nein, ich …«
»Nicht?« Er stieß ein leises Japsen aus, dann riss er sich los und stürzte den Gang wieder hinunter.
»Nein«, rief sie ihm nach, »Tibor, nicht! Bleiben Sie hier!«
Der junge Mann rannte, duckte sich unter die niedrige Decke, hastete weiter. Nur weg. Weg, so schnell wie möglich. Fort aus diesem Albtraum. Sie waren hier alle verrückt, alle, und es war ansteckend. Wie sonst war zu erklären, dass er gesehen hatte, wie jemand sich vor seinen Augen in Luft auflöste? Ein irrsinniger Albtraum …
Aber der Wolf war real. Wie ein riesiger Schatten schob er sich aus der Finsternis, lautlos. Es war kein Märchen, dass die Augen der Wölfe bei schwacher Beleuchtung zu glühen schienen. Riesige, runde Augen.
Tibor blieb stehen. Ein Schluchzer entschlüpfte seiner Kehle.
»Nicht hier«, hörte er die scharfe Stimme des Mannes sagen, der verschwinden konnte. Ebenso lautlos wie der Wolf war er von irgendwoher aufgetaucht – aus dem Fels? Tibor dachte nicht daran, dass es sein eigener Aufschrei gewesen sein könnte, der den Mann hergerufen hatte.
»Nein«, flehte er. »Nehmt ihn da weg, bitte, bitte!«
»Nicht hier«, wiederholte der große, dunkelhaarige Fremde mit dem asiatischen Aussehen. »Tibor? Geh rückwärts. Ganz langsam. Schau ihm nicht in die Augen. Sieh zu Boden, beachte ihn gar nicht. Einen Schritt, noch einen … Gut machst du das. Komm hierher. Nur noch ein paar Schritte. Ich weiß ungefähr, wo wir sind. Ausgezeichnet. Es war ein kluger Schachzug von dir, Wilder, in die Gewölbe zu gehen. Hinunter, unter die Straßen. Du bist der Klügste von allen, Bruder. Ja, so ist es gut.«
Von plötzlicher Hoffnung erfüllt gehorchte Tibor und bewegte sich wie in Zeitlupe rückwärts. Er starrte auf den Boden, doch dann, er konnte nicht anders, warf er dem Tier einen verstohlenen Blick zu und erschrak. Langsam, sanft einen Fuß vor den anderen setzend, folgte der Wolf ihm, sodass der Abstand zwischen ihnen sich nicht verringerte.
»Bitte«, jammerte Tibor. »Ich bin bloß die Aushilfe. Ich bin Student, ich mache das nur stundenweise. Ich weiß gar nichts. Ich verdiene mir hier bloß was dazu. Ich weiß von nichts. Ich habe nichts gesehen.«
Der schwarzhaarige Fremde nickte, als der Wolf den Kopf hob und ihn anstarrte, die schimmernden Zähne entblößt.
»Gut so, Wilder«, sagte er. »Du kennst mich. Vergiss das nicht. Du weißt, wem du zu gehorchen hast. Und nun sieh ihn an. Er ist die Beute.«
»Was?«, heulte Tibor auf. »Das ist doch …« Er rannte im selben Moment los, als der Wolf sprang. Ein rasender Schmerz durchfuhr ihn, gleichzeitig fühlte er das Gewicht des Tieres auf sich, und genau als er dachte: »Das ist das Ende«, als er so laut schrie, dass ihm war, als würde die Höhle über ihm einstürzen, setzte der Wolf elegant seinen Sprung fort, als wäre nichts gewesen, und verschwand in der Dunkelheit.
»Was ist passiert?« Atschorek kam auf klappernden Absätzen angerannt. »Hat er … hat Wilder ihn …?«
Kunun riss den jungen Mann in die Höhe. Blut färbte seinen Kragen dunkelrot.
»Er lebt«, stellte er zufrieden fest. »Hast du’s noch nicht gemerkt? Du lebst, Mann. Oh Atschorek, Wilder ist perfekt. Er ist so gut! Wenn ich das gewusst hätte … Er hat sich ganz anders im Griff als Bela. Wir hätten von Anfang an ihn nehmen sollen.«
»Wir haben die zweite Pforte!«, rief Atschorek atemlos.
»Ich gehe hindurch«, kündigte Kunun an. »Jetzt. Du trommelst in der Zwischenzeit unsere Mannschaft zusammen. Sie sollen noch ein paar Leute ins Gewölbe herunterbringen. Wenn ihr Wilder dazu bewegen könnt, weitere Türen zu öffnen, an verschiedenen Stellen hier im Labyrinth, das wäre perfekt. Der Krieg hat begonnen.«
»Ich brauche einen Arzt«, zeterte Tibor.
»Peron, du klärst ihn auf«, befahl Kunun. »Sag ihm, was mit ihm passiert ist, bevor er durchdreht. Atschorek, du bereitest den Angriff vor.«
»Geh da nicht alleine rein«, bat sie. »Kunun, sosehr du dir das auch wünschst … Glaub mir, ich
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