Magyria 02 - Die Seele des Schattens
Erwartung und Freude. In den vergangenen beiden Wochen hatte er das Gefühl gehabt, mit ihr zu verschmelzen. Sie teilten ein Haus, ein Zimmer, ein Bett. Ein Herz und ein Leben. Alles, was ihr gehörte, war sein, mit einer Selbstverständlichkeit, die geradezu berauschend war. Er hatte sich, wenn er sie gebissen hatte, nicht einmal mehr schuldig gefühlt, nicht wie ein blutrünstiges Tier, das über sie herfiel und sie verletzte, sondern angenommen und geborgen. Doch nun …
»Hanna.« Er zwang sich zu sprechen, obwohl er seine Zunge kaum bewegen konnte, obwohl alles in ihm danach schrie, sie endlich zu beißen, obwohl sein Hunger ihn beinahe überwältigte. In seinem Nacken, hart und unbarmherzig, als hielte Kunun ihn dort gepackt, spürte er den Schmerz, dort, wo das Licht durch die Lücke zwischen den schweren Vorhängen kroch und ihn biss.
»Wenn du nicht …«
»Nun mach schon«, unterbrach sie ihn.
Das war auch gut so, denn er konnte nicht länger warten. Er grub seine Zähne in ihren Hals und schmeckte ihr Blut in seinem Mund, warm und unendlich köstlich, wie von heilendem Licht erfüllt. Er trank, so gierig, dass er sich kaum bremsen konnte. Sie stöhnte leise, und er wusste, dass sein heftiges Saugen ihr wehtat, aber er trank nur noch mehr … noch einen Schluck … nur noch einen Schluck …
Mit Gewalt riss er sich von ihr los, keuchend. Als sie schwankte, fing er sie auf und hielt sie fest an sich gedrückt.
»Es tut mir leid … es tut mir so leid.« Aber seinem Körper tat es nicht leid. Sein Körper, diese fremde Bestie, wollte immer noch mehr. Mattim schämte sich unendlich für das, was er war, was er nicht aufhören konnte zu sein, dass er, als sie die Augen aufschlug und ihn anblickte, erwartete, dasselbe Entsetzen darin zu sehen, das er selbst fühlte. Verachtung. Schrecken. Oder gar nichts. Die Leere, die alle Opfer der Schatten in ihrem Gesicht zur Schau stellten, kurz nach der Tat, wenn ihnen mit ihrem Blut ein Teil ihres Lebens geraubt worden war. Doch Hanna schaute ihn mit einer Innigkeit und Wärme an, dass es kaum zu ertragen war. Ihn, das Raubtier. Er wollte sterben. Er wollte kein Schatten mehr sein, sondern einfach nur sterben.
»Es tut mir leid«, sagte er noch einmal. »Manchmal ist es stärker als ich. Dann kann ich es nicht kontrollieren.«
»Mattim«, flüsterte sie. Niemand sprach seinen Namen aus wie sie, als wäre er eine Zauberformel oder ein anderes Wort für Liebe.
Er küsste sie auf das verschwitzte Haar. Nur eine Nacht hatten sie ohne einander verbracht, und doch fühlte es sich an, als wären sie Jahre getrennt gewesen. Ein Jahr, in dem er den drei Mädchen zu Atschoreks Haus gefolgt war. Ein Jahr, in dem er Kunun gegenübergestanden hatte und alle seine Hoffnungen für Akink zerschlagen sah. Und ein Jahr für diese Nacht, in der er von den Wölfen geträumt hatte.
»Die Schatten sind zurück«, sagte er schließlich, denn er wusste nicht, wie er es ihr schonend beibringen sollte. »Alle, die den Fluss überlebt haben. Die meisten konnten sich retten. Hier sind sie wieder.«
Hanna nickte stumm.
»Ich möchte, dass du mindestens tausend Kilometer von den Schatten entfernt bist. Ich möchte, dass du in Sicherheit bist.« Auch vor mir. Er wusste nicht, wie er es ausdrücken sollte, wie er es überhaupt wahrmachen konnte. Eine andere Frau zu beißen würde sich anfühlen wie Untreue, wie ein Verrat an allem, was zwischen ihnen war. Einfach nur sterben …
» Wo sind wir?«, fragte sie und sah sich in dem abgedunkelten Zimmer um. Der Streifen Licht, der durchs Fenster fiel, erhellte nur einen kleinen Teil der Einrichtung.
Mattim riss die Vorhänge auf, und das Licht flutete ungehindert hinein.
Ein Himmelbett aus schwarzem Holz, über die Stangen fiel schwerer, dunkelblauer Stoff. Ein mannshoher Spiegel neben einem Paravent verdoppelte das altmodische, samtbezogene Sofa mit den goldenen Troddeln. Dieses Zimmer sah fast genauso aus wie sein Gemach in der Burg von Akink.
»Wir sind in Atschoreks Haus«, erklärte er. »Atschorek hat mir, da sie mir nichts tun darf, ein Zimmer gegeben. Und Kunun hat mich gehen lassen, obwohl ich ihn um den Sieg gebracht habe. Ist das nicht wenigstens eine gute Nachricht? Ich muss mich nicht mehr verstecken. Er weiß, dass ich hier bin, und lässt mich trotzdem am Leben.«
Hanna sah sich um. »Was habe ich dir gesagt?«, fragte sie unruhig.
»Was wolltest du mir denn sagen?« Er wusste nicht, ob sie sich jetzt schon langsam an alles
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