Magyria 02 - Die Seele des Schattens
»Für die Schatten gibt es keinen Weg über den Fluss.«
»Über die Brücke.« Mattim lachte wild. »Dann gehe ich halt über die Brücke … irgendwie …«
Peron hielt ihn am Arm fest und führte ihn wie einen schwankenden Betrunkenen vom Labyrinth fort, durch die enge Straße. Sie blieben erst stehen, als vor ihnen ein dunkler Wagen hielt.
»Mattim!« Kunun stieg aus und stellte sich ihnen in den Weg. »Bei allen Schatten, was tut ihr hier? Hatte ich dir nicht gesagt …?«
»Steigt ein«, ließ Atschorek sich vernehmen. »Na los, kommt schon.«
»Die Pforte ist im Labyrinth?«, fragte Kunun gierig.
»Es brennt«, erklärte der neue Schatten. »Man kommt nicht durch.«
»Du hast es versucht?« Kunun starrte Mattim an, an dessen Haaren und Kleidung noch der starke Geruch des schwarzen Qualms haftete. »Verdammt, Mattim, was soll das? Willst du alles zunichte machen? Niemand geht ohne meine ausdrückliche Erlaubnis rüber. Von jetzt an befinden wir uns in einer neuen Phase des Krieges. Keiner handelt mehr eigenmächtig. Ist das klar, kleiner Bruder?«
»Sie haben Hanna.« Mattim wäre Kunun am liebsten ins Gesicht gesprungen. »Hörst du? Sie haben Hanna! Du hast sie nach Magyria gebracht. Du hast sie losgeschickt, in die Gefahr, und es war dir egal!«
»Tja«, murmelte Kunun.
»Oh Mattim!« Atschorek stieg aus und streckte die Arme nach ihm aus. »Das tut mir so leid. Du weißt, dass wir das nicht wollten.«
»Ich werde nicht zulassen, dass ihr etwas geschieht.«
»Du kannst nicht zu ihr, Mattim.« Atschorek schüttelte bedauernd den Kopf. »Wir werden natürlich so schnell wie möglich handeln, aber …«
»Wie schnell?«, fragte er. »Glaubst du, du könntest in einem halben Tag Akink erobern und Hanna aus der Burg holen, bevor ihr etwas geschieht? In dieser einen Nacht, die wir noch haben?«
»Du weißt doch gar nicht, wie viel Zeit sie ihr geben«, wandte Atschorek ein. »Vielleicht schenken sie ihr auch zwei Tage. Oder drei. Wenn sie hoffen, dass das Mädchen ihnen noch etwas Nützliches verrät … Beim Licht, ich hoffe bloß, dass sie nicht so dumm ist!«
»Wenn sie glaubt, dass ihr Attila etwas antun könntet? Sie wird nichts sagen. Auf Hanna ist Verlass.« In Mattims Stimme schwang ein unüberhörbares Knurren mit. »Und sie kann sich auf mich verlassen.«
»Mattim …« Atschorek wollte ihn zum Auto ziehen, aber er riss sich los, und bevor die anderen reagieren konnten, rannte er wieder zurück.
»Er wird es doch nicht noch einmal versuchen?«, hörte er Atschorek hinter sich ungläubig fragen. »Durch eine brennende Pforte? Das ist Wahnsinn! Wir müssen ihn aufhalten!«
Hinter ihm erklangen die Schritte eines anderen Läufers. Mattim blickte kurz über die Schulter und legte einen Zahn zu. Es war Kunun, der sich nicht damit aufhielt zu rufen, sondern sich darauf konzentrierte, seinen Bruder einzuholen.
Das würde ihm nicht gelingen. Mattim rannte noch schneller. Nur eine Nacht. Wenn sie Hanna bei Sonnenaufgang … Er wollte nicht daran denken, aber er konnte nicht anders. Han-na, Han-na … In seinem Kopf hämmerte bei jedem Schritt ihr Name mit.
Er sah sie vor sich, während er lief. Ihr dunkles Haar, das glänzend über ihre Schultern fiel. Ihre hellbraunen Augen unter den schwarzen Wimpern, mit denen sie ihn ansah, wie es kein einziger Mensch in beiden Welten vermochte … Sein Herz konnte nicht mehr schlagen, und doch trommelte es den Takt, als er einen Fuß vor den anderen setzte. Han-na, Han-na …
Dort endlich der Eingang zum Labyrinth; halb sprang, halb fiel der Junge die Stufen hinunter.
»Mattim!«, brüllte Kunun hinter ihm. »Tu das nicht! Mattim!«
Er warf sich durch die Pforte.
SECHZEHN
Akink, Magyria
Dichter schwarzer Rauch. Anscheinend brannte es nicht mehr, aber der Qualm nahm ihm sofort die Sicht, hüllte ihn von allen Seiten ein und wollte ihn ersticken. Keuchend wankte Mattim vorwärts, fort von der Pforte; Kunun sollte ihn nicht zurückreißen, so wie Peron es getan hatte. Ihn schwindelte, gleich würden ihn seine Sinne im Stich lassen … Der junge Prinz blieb stehen, mitten in der unglaublichen Hitze, atmete die brandheiße Luft, glaubte fast, sein schnell schlagendes Herz zu hören …
Dann lachte er leise. Vertraute Schmerzen. So wie damals, als er durch den Fluss geschwommen und von den Wölfen gehetzt worden war. Aber was sollte ihm jetzt wehtun? Feuer konnte ihn verbrennen, aber Rauch?
Idiot. Du bist ein Schatten. Du bist tot und spielst, dass
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