Mahlstrom
in seinem Oberschenkel gefüttert hatten, bis sich die Zahl dort im sechsstelligen Bereich befand. Und ihm blieb ein ganzer Monat, bis das Frühlingshochwasser die Dämme im Norden zu überfluten begann. Seine Möglichkeiten waren zahlreich und allesamt verlockend. Er konnte seine Chloroplasten verstärken lassen, sodass sie ihn vor UV-Licht schützten, und in die Carolinas fahren. Er konnte sich den Unterwasserclub Med in Hatteras anschauen – er hatte gehört, dass sie dort eine ganze Bucht mit einer großen halbdurchlässigen Membran abgezäunt hatten, die den Ozean hereinließ, aber all die fiesen synthetischen Makromoleküle und Schwermetalle draußen hielt. Ihr gezüchtetes Korallenriff war endlich angewachsen und möglicherweise sogar schon für Touristen geöffnet. Das wäre etwas, das man gesehen haben musste. Seit Key West den Geist aufgegeben hatte, hatte es in N'AmPaz keine wilden Korallen mehr gegeben.
Allerdings gab es heutzutage alle möglichen unangenehmen Dinge, die nur darauf warteten, sich auf einen zu stürzen, sobald man vor die Haustür ging. Diese neue Mikrobe, die die Flüchtlinge an der Westküste mitgebracht hatten, zum Beispiel – so ein Universalkrankheitserreger, der einen auf Dutzende verschiedene Weisen umbringen konnte. Vielleicht war es besser, einfach in diesem dunklen, gemütlichen, kleinen Separee sitzen zu bleiben, in dieser dunklen, gemütlichen, kleinen Drink'n'Drug-Bar am Rande des Gürtels und sich auf die Innovationen im Bereich der Hirnchemie zu verlassen, die ihm eine Fülle von Erfahrungen liefern konnten, wie er sie in der wirklichen Welt niemals machen könnte. Das klang ebenfalls verlockend. Außerdem konnte er sofort damit anfangen.
Genau genommen hatte er sogar schon angefangen. Quammen streckte sich, lehnte sich in seiner gepolsterten Nische zurück und beobachtete, wie sich die Schmetterlinge in seiner Nähe gegenseitig anfunkelten. Oben war die Welt ein in Salz gebrannter Ofen. Wenn man dort oben ein ungeschützter Augapfel war, bestand die einzige Frage lediglich darin, ob man vom Gleißen des Salzes erblindete, bevor einen das Sandstrahlgebläse des Windes in körnige Gelatine verwandelte. Hier drinnen jedoch war es immer dunkel, und die Luft bewegte sich kaum. Er fühlte sich wie eine Katze im Winkel einer düsteren grünen Höhle, die ihren Blick über ihr unterirdisches Territorium schweifen ließ.
An der Bar saß eine kleine, blonde K-Strategin ganz allein. Quammen klebte sich geistesabwesend ein Pflaster hinter das Ohr und richtete seine Armbanduhr auf sie. Passives Infrarot und ein paar Ultraschallsignale, so leise, dass eine Fledermaus sie kaum hätte hören können, flogen hin und her.
Die Frau drehte sich um und sah ihn an. Ihre Augen waren ausdruckslos und überraschenderweise elfenbeinfarben.
Sie kam zu ihm herüber.
Er kannte sie nicht. Quammens Uhr lieferte ihm eine Kurzdarstellung: Sie war nicht angeturnt.
Sonst hätte er sich allerdings keinen Grund vorstellen können, warum sie ihn ansprechen sollte.
Sie blieb vor der Nische stehen, den Hauch eines Lächelns unter diesen seltsamen, leeren Augen.
»Hübscher Effekt«, sagte Quammen und ergriff die Initiative. »Verschaffen dir diese Dinger einen Röntgenblick?«
»Also, was war das?«
»Was war was?«
»Du hast irgendetwas auf mich abgeschossen.«
»Oh.« Quammen hob die Hand und zeigte ihr den hauchdünnen Draht, der aus seiner Uhr herausragte. »Hast du eine Art Sensor bei dir?«
Sie schüttelte den Kopf. Dünne Lippen, kleine Brüste, tolle Hüften. Eckige Kanten, die nur leicht abgerundet waren. Wie eine perfekte kleine Eisskulptur, die eine Minute zu lange in der Sonne gestanden hatte.
»Also, woher hast du das gewusst?«, fragte Quammen.
»Ich habe es gespürt.«
»Quatsch. Das Infrarot ist passiv und das Echolot äußerst schwach.«
»Ich habe ein Implantat«, sagte die K-Strategin. »Aus festem Material. Man kann es spüren, wenn sich die Schallwellen daran brechen.«
»Ein Implantat?« Das könnte interessant werden.
»Ja. Also, was tust du hier?«
Quammen warf heimlich einen weiteren Blick auf seine Uhr. Nein, sie war nicht auf Beutezug. Jedenfalls vor einer Minute noch nicht. Vielleicht war das Verhandlungssache. Womöglich hatte es sich bereits geändert. Er wollte sie noch einmal auschecken, aber er wagte es nicht, weil er fürchtete, sie könnte es bemerken. Mist. Warum musste sie Messfühlern gegenüber empfindlich sein?
»Ich habe gesagt …«
»Ich habe
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