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Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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ihren Tierra-Modellen und genetischen Algorithmen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie die Nase voll davon hatten, ihre Schöpfungen andauernd neu zu programmieren und gegeneinander antreten zu lassen. Warum ihnen zur Abwechslung nicht einmal ein paar Gene oder ein, zwei Zufallszahlengeneratoren einbauen und die natürliche Auslese das Ihre tun lassen?
    Das Problem mit der natürlichen Auslese ist natürlich, dass sich die Dinge verändern.
    Das Problem mit der natürlichen Auslese in Netzwerken ist, dass sich die Dinge sehr schnell verändern.
    Als Achilles Desjardins ein Gesetzesbrecher wurde, war der Begriff Zwiebel schon kaum noch gebräuchlich. Warf man einen Blick ins Innere des Ganzen, wusste man auch, wieso. Wenn man all die Unzucht und die Räuberei und die Artenbildung beobachten konnte, ohne angesichts der Geschwindigkeit, mit der sich alles veränderte, einen Anfall zu bekommen, wusste man, dass es nur eine Bezeichnung gab, die tatsächlich passte: Mahlstrom.
    Dennoch klinkten sich die Menschen ständig dort ein. Was sollten sie auch sonst tun? Das zentrale Nervensystem der Zivilisation befand sich schon seit über einem Jahrhundert im Innern eines gordischen Knoten. Und wer wollte schon wegen ein paar kleinen Würmern den Stecker ziehen?
     
    Jetzt stolperten einige der Warnmeldungen von CinciGen mit heraushängenden Eingeweiden durch den Mahlstrom. Natürlich fing die Fauna in der Gegend den Geruch auf. Desjardins pfiff durch die Zähne.
    »Siehst du das, Alice?«
    »Hm-mh.«
    Irgendwann in grauer Vorzeit – vor fünf oder zehn Minuten vielleicht – hatte etwas eine der Warnmeldungen angegriffen. Es hatte versucht, Code zu stehlen, sich per Anhalter mitnehmen zu lassen oder sich des Datenspeicherplatzes zu bemächtigen, den die Warnmeldung einnahm. Was auch immer. Vermutlich hatte es vergeblich versucht, einen Abschaltcode zu fälschen, und sein Ziel war nunmehr sämtlichen Signalen gegenüber blind, ob sie nun echt waren oder falsch. Wahrscheinlich war die Warnmeldung auch noch an anderen Stellen beschädigt worden.
    Diese arme, verletzte Warnmeldung – verwundet, allein und von jeder Hoffnung auf einen Rückruf abgeschnitten – war weiter durch den Mahlstrom gestolpert, immer noch auf der Suche nach ihrem Zielort. Dieser Teil des Programms funktionierte offenbar noch: Es hatte sich am nächsten Knotenpunkt mit all seinen Verletzungen vervielfältigt. Primäre Kontakte, dann sekundäre und tertiäre – jeder Knotenpunkt eine Verbindungsstelle für die geometrische Fortpflanzung.
    Inzwischen waren bereits Tausende der kleinen Biester in der Gegend unterwegs. Keine Warnmeldungen mehr, sondern Köder. Jedes Mal, wenn sie einen Knotenpunkt passierten, läuteten sie für alles und jeden die Essenglocke: Beschädigt! Hilflos! Datenfutter! Sie weckten jeden ruhenden Parasiten und Räuber in Kopierweite aus dem Schlaf, lockten sie scharenweise an …
    Die Warnmeldungen selbst spielten keine Rolle. Sie waren von Anfang an falsch gewesen, von einem einfachen Tippfehler ins Leben gerufen. Doch an diesen Knotenpunkten gab es noch Millionen anderer Dateien, gesunde, nützliche Dateien, und obwohl sie alle die üblichen eingebauten Abwehrmechanismen besaßen – heutzutage wurde nichts ohne eine gewisse Panzerung durch den Mahlstrom geschickt –, wie viele von ihnen konnten einer Milliarde verschiedener Angriffe von einer Milliarde hungriger Räuber widerstehen, die vom Geruch frischen Blutes angelockt wurden?
    »Alice, ich glaube, ich werde ein paar dieser Knotenpunkte herunterfahren müssen.«
    »Bin schon dabei«, erwiderte sie. »Ich habe Warnmeldungen rausgeschickt. Vorausgesetzt, sie kommen durch, ohne in Stücke gerissen zu werden, sollten sie innerhalb von siebzig Sekunden Wirkung zeigen.«
    In einem kegelförmigen Bereich auf der schematischen Darstellung wimmelte es nur so von Haien, die sich auf den Mittelpunkt zuarbeiteten.
    Selbst im besten Fall würde es Schäden geben – Teufel auch, es gab sogar Viren, die sich darauf spezialisiert hatten, Dateien während des Prozesses der Archivierung zu infizieren –, doch es blieb zu hoffen, dass zu dem Zeitpunkt, wenn Desjardins auf den Abschaltknopf drückte, die wichtigsten Informationen bereits eingekapselt waren. Natürlich würden ihn trotzdem Tausende von Usern mit Flüchen belegen, weil ihre Sitzungen unterbrochen worden waren.
    »Oh, verdammt«, flüsterte die unsichtbare Jovellanos. »Killjoy, zoom dich mal hoch.«
    Desjardins zoomte zu

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