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Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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sie beschäftigt, wissen Sie? Deshalb habe ich ihn einfach in Ruhe gelassen.«
    Bitte, bitte, bitte, hoffentlich haben sie im Augenblick keine superempfindlichen Telemetriesensoren auf mich gerichtet …
    »Verstehe«, sagte Slijper. »Nun, jedenfalls vielen Dank, Dr. Jovellanos.«
    »War das alles?« Sie machte Anstalten, sich zu erheben.
    »Nicht ganz«, sagte ein anderer der Firmenbosse. »Es gibt da noch etwas, bezüglich …«
    Oh nein, bitte nicht …
    »… Ihrer eigenen Verbindung mit der ganzen Sache.«
    Jovellanos sank auf ihren Stuhl zurück und wartete darauf, dass das Beil herabsauste.
    »Dr. Desjardins' Verschwinden hat eine … nun ja, Lücke hinterlassen, die wir uns im Augenblick nicht leisten können«, fuhr der Firmenboss fort.
    Jovellanos ließ den Blick über das von hinten angeleuchtete Tribunal wandern. Leise Hoffnung regte sich in einem entlegenen Winkel ihres Verstandes.
    »Sie haben bei diesem Projekt teilweise sehr eng mit Dr. Desjardins zusammengearbeitet. Wie wir erfahren haben, ist der Anteil, den Sie dazu beigetragen haben, nicht unerheblich – Sie bleiben bei Ihrer Arbeit nun schon seit einer ganzen Weile unter Ihrem Potenzial. Und Sie wissen mehr über diesen Fall als jeder andere, den wir im Augenblick damit beauftragen könnten. Eigentlich steht Ihnen schon seit Längerem eine Beförderung zu. Aber offensichtlich … das heißt, die Psychologie-Abteilung teilte uns mit, dass Sie bestimmte Einwände gegen das Schuldgefühl haben …«
    Ich. Kann. Es. Nicht. Glauben.
    »Ich möchte Ihnen versichern, dass wir Ihnen das nicht zum Vorwurf machen«, sagte der Firmenboss. »Ihre Vorbehalte gegenüber der invasiven Techniken sind äußerst … verständlich, nach dem, was mit Ihrem Bruder geschehen ist. Ich möchte behaupten, dass ich in Ihrer Situation genauso empfinden würde. Diese ganze Nanotech-Geschichte war ein solches Debakel …«
    Jovellanos spürte plötzlich einen vertrauten Kloß im Hals.
    »Ich kann Ihnen also sagen, dass wir Ihre Einwände durchaus verstehen. Aber vielleicht können Sie ja auch verstehen, dass das Schuldgefühl etwas ganz anderes ist. Es hat jedenfalls ganz sicher nichts Gefährliches …«
    »Ich kenne den Unterschied zwischen Bio und Nano«, sagte Jovellanos freundlich.
    »Ja, natürlich … Ich wollte nicht …«
    »Es ist nur so. Was mit Chito passiert ist … Logik spielt nicht immer eine Rolle, wenn man …«
    Chito. Mein armer, toter, gequälter Chito. Diese Haploiden haben nicht die geringste Ahnung, was ich getan habe.
    Und alles für dich, Kleiner.
    »Ja. Das verstehen wir natürlich. Und obwohl Ihre Vorbehalte – die, wie gesagt, vollkommen verständlich sind –, obwohl sie Ihre Aufstiegschancen behindert haben, haben Sie überdurchschnittliche Leistungen gezeigt. Die Frage ist, ob Sie nach all diesen Jahren weiterhin Ihre Chancen auf einen beruflichen Aufstieg in den Wind schreiben wollen?«
    »Denn wir sind alle der Meinung, dass das äußerst schade wäre«, sagte Slijper.
    Jovellanos sah zu ihnen hinüber und sagte ganze zehn Sekunden lang kein einziges Wort.
    »Ich … glaube, es wird Zeit, die Vergangenheit ruhen zu lassen«, sagte sie schließlich.
    »Sie sind also bereit, sich die Injektionen verabreichen zu lassen und zu einer Gesetzesbrecherin der obersten Stufe aufzusteigen?«, fragte Slijper.
    Für dich, Chito. Immer weiter hinauf zur Spitze.
    Alice Jovellanos nickte ernst und musste sich dabei zwingen, ihre Gesichtsmuskeln im Zaum zu halten, die einen ganz anderen Ausdruck annehmen wollten. »Ich glaube, ich bin bereit dafür.«

Scheherazade
    Fossiles Wasser, kalt und grau.
    Sie erinnerte sich an die Legenden der Gegend, obwohl sie sich nicht mehr ganz sicher war, auf welchem Wege sie davon erfahren hatte. Nur ein Prozent der Seen stammte aus Flüssen oder vom Regen. Sie schwamm durch die flüssigen Überreste eines Gletschers, der vor zehntausend Jahren geschmolzen war. Die Seen würden nie wieder aufgefüllt werden, wenn der menschliche Durst sie erst einmal trockengelegt hatte.
    Im Augenblick gab es allerdings noch mehr als genug Wasser, um ihr als Schutz zu dienen.
    Tagelang war die Meerjungfrau durch die Tiefen geschwommen. Bilder aus einer Vergangenheit, an die sie sich nicht erinnern konnte, stiegen wie Luftblasen durch das dunkle Wasser und den Schmerz in ihrer Seite auf. Sie hatte es längst aufgegeben, sich dagegen zu wehren. Nachts schwamm sie wie ein übergroßer Planktont zur Oberfläche hoch. Sie konnte nicht

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