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Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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Natürlich ohne ihm die richtigen Werkzeuge zu liefern, die er für seine Arbeit brauchte. Und wenn sie am Ende sämtliche Moleküle, an denen Patente hingen, wieder eingesammelt hatten, würde seine Kulturprobe nur noch aus 20cc destilliertem Wasser bestehen.
    Er machte ein Geräusch, das halb Lachen und halb Schnauben war.
    »Entschuldigen Sie?« Rowan hob eine Augenbraue. »Wollten Sie etwas sagen?«
    Eine kurze, kathartische Fantasie:
    Ich habe da tatsächlich eine Frage, Ms. Rowan. Turnt dieser ganze Mist Sie vielleicht an? Macht es Sie heiß, mir ohne jeden Grund wichtige Informationen vorzuenthalten? So muss es wohl sein. Ich meine, warum haben Sie sich überhaupt die Mühe gemacht, meinen Körper von Grund auf umzurüsten, bis zu den einzelnen Molekülen? Warum haben Sie mich mithilfe der Biotechnik in einen Ausbund an Integrität verwandelt, nur um dann zu dem Schluss zu kommen, dass man mir letzten Endes doch nicht trauen kann? Sie kennen mich, Rowan. Ich bin unbestechlich. Ich könnte dem Wohl der Allgemeinheit nicht einmal dann schaden, wenn mein Leben davon abhinge.
    In das anhaltende Schweigen hinein hustete Lertzman betreten in die geballte Faust.
    »Tut mir leid. Nein, ich wollte nichts sagen.« Desjardins drückte die Knöpfe an seiner Uhr, die Hände sicher unter dem Tisch verborgen. Er klammerte sich an die erste Überschrift, die auf seinen Inlays erschien. »Das ist wirklich ein … ein hübscher Name, ßehemoth . Woher stammt er?«
    »Aus der Bibel«, sagte Rowan. »Mir hat er nie sonderlich gefallen.«
    Eigentlich brauchte er gar keine Antwort auf seine unausgesprochenen Fragen. Rowan hatte sicher einen guten Grund für ihre Verschwiegenheit. Natürlich wusste sie, dass er dem Wohl der Allgemeinheit nicht schaden konnte.
    Aber sie konnte es.

Knall
    Für Lenie Clarke war die Entscheidung zwischen Haien und Menschen nicht so einfach, wie sie es eigentlich hätte sein müssen. Für den Entschluss, den sie schließlich traf, zahlte sie noch einen anderen Preis: Sie vermisste die Dunkelheit.
    Die Nacht, auch wenn sie mondlos und bewölkt war, hatte den Augenkappen nichts entgegenzusetzen. Es gab nicht viele Ort auf der Welt, wo es dunkel genug war, um sie erblinden zu lassen. Lichtdicht verschlossene Räume natürlich. Tiefe Höhlen und die Tiefsee, zumindest an den Stellen, wo es keine Biolumineszenz gab. Das war aber auch schon alles. Ihre Augenkappen verurteilten sie zum Sehen.
    Sie hätte sie natürlich herausnehmen können. Das war nicht weiter schwierig, kaum anders, als würde man ein Paar Kontaktlinsen herausnehmen. Sie konnte sich noch undeutlich daran erinnern, wie ihre unverhüllten Augen aussahen. Sie waren hellblau, so blass, dass die Iris beinahe mit dem Weiß verschmolz. Ein wenig, als würde man in Meereis blicken. Jemand hatte ihr einmal gesagt, ihre Augen seien kalt und sexy.
    Sie hatte ihre Augenkappen seit beinahe einem Jahr nicht mehr herausgenommen. Sie hatte sie stets getragen, selbst wenn sie sich gestritten, geprügelt oder gelitten hatte. Selbst beim Sex hatte sie sie drin behalten. Da würde sie sich jetzt nicht vor Fremden entblößen.
    Wenn sie Dunkelheit wollte, musste sie lediglich die Augen schließen. Doch umgeben von einer Million Flüchtlinge war auch das nicht so einfach.
    Sie suchte sich eine freie Fläche von ein paar Quadratmetern. In der Nähe drängten sich die Flüchtlinge unter Decken und in Baracken aneinander, schliefen oder trieben es miteinander in einer Dunkelheit, die zumindest für ihre Augen ein wenig Schutz bot. Wie Amitav vorausgesagt hatte, kümmerten sie sich nicht weiter um sie. Tatsächlich ließen sie ihr sogar mehr Platz, als sie sich untereinander gewährten. Sie lag auf ihrem kleinen Sandflecken, ihrem Territorium , und schloss die Augen, um die grelle Dunkelheit auszusperren. Es nieselte leicht. Wegen der Taucherhaut, die ihren Körper bedeckte, spürte sie den Regen nur auf ihrem Gesicht. Es fühlte sich beinahe wie eine Liebkosung an.
    Sie döste vor sich hin. Irgendwann musste sie wohl doch eingeschlafen sein. Allerdings war sie zufällig zweimal wach, als Mechfliegen geräuschlos über ihr vorbeiflogen – dunkle Ellipsen, die von einer Helligkeit angestrahlt wurden, die mit bloßem Auge nicht zu sehen war. Jedes Mal erstarrte sie, bereit, in den Ozean zurückzufliehen, doch die Drohnen nahmen keinerlei Notiz von ihr.
    Sie besitzen keine Eigeninitiative , dachte sie. Sie sehen nur das, wofür sie programmiert wurden. Oder vielleicht

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