Mahlstrom

glaube, ich werde einfach …«
    Dann hielt sie inne und blickte zwischen Tracy und ihrem Papa hin und her.
    »Na gut«, sagte sie. »Vielleicht sollte ich doch mitkommen.«

Blip
    Gesundheitswarnung
    Von: BRIKS, regionale Risikobewertung, N'AmPaz WH
    Verbreitung: An das gesamte Pazifizierungs- und Überwachungspersonal der Flüchtlingszone von N'AmPaz
    Typ: Mangelsyndrom
    Gefahrenklasse: 4,6
     
    Hiermit möchten wir Sie darauf hinweisen, dass das Auftreten von Mangelsymptomen unter der Flüchtlingspopulation zwischen dem sechsundvierzigsten und siebenundvierzigsten nördlichen Breitengrad weiter zugenommen hat. Halten Sie nach frühen Symptomen Ausschau, wie Haarausfall, schuppige Haut und Verlust von Fingernägeln. Im fortgeschrittenen Krankheitszustand können starke Hämatome und Symptome von Mangelernährung im zweiten Stadium auftreten (Verlust von >18% Körpermasse, Ödeme, beginnender Kwashiorkor und Skorbut). Erblindung, Krämpfe und Diabetes-Erkrankungen wurden noch nicht beobachtet, werden aber erwartet. Es scheint sich um eine tödlich verlaufende Erkrankung zu handeln, deren Ursache noch immer nicht geklärt werden konnte. Obwohl die Symptome auf fortgeschrittene Unterernährung hinzuweisen scheinen, wiesen Proben aus den Calvin-Cyclern der Region normale Nährstoffwerte auf. Die Cycler produzieren außerdem die vorgeschriebene Konzentration an SAM-g. In den Blutproben mancher Individuen wurde aber dennoch weniger als die Hälfte der wirksamen Dosis gefunden. ACHTEN SIE DARAUF, DASS MANCHE FLÜCHTLINGE NICHT MEHR UNTER MEDIKAMENTEN STEHEN UND DESHALB UNKOOPERATIV ODER SOGAR FEINDSELIG SEIN KÖNNTEN. Wir vermuten, dass es sich um eine Störung der Stoffwechselprozesse auf der Zellebene handelt, und vergleichen gegenwärtig Proben mit dem Krankheitserreger-Mikroarray der BRIKS. Bislang ist es uns allerdings nicht gelungen, den Erreger zu isolieren.
    SOLLTEN SIE WÄHREND IHRER PATROUILLE DIESE ODER ANDERE UNGEWÖHNLICHE SYMPTOME BEMERKEN, INFORMIEREN SIE BITTE UNVERZÜGLICH DIESES BÜRO.

Mutterleib
    Die Lügen trieben Clarke unter Wasser.
    Sie hatte mit Gord und Tracy an dem zusammenklappbaren Tisch gesessen und das Abendessen aus dem Cycler zu sich genommen. Es war ein hochmodernes Gerät, und die Blöcke, die es ausspuckte, waren deutlich wohlschmeckender als die, die sie in der Zone gegessen hatte. Sie hatte sich auf dieses kleine Vergnügen konzentriert, während Gord seiner Tochter das Haar gezaust und zärtliche, gurrende Papas-kleines-Mädchen-Geräusche gemacht hatte. Doch in jeder dieser Gesten lag – ja, was? Clarke kannte die Anzeichen, sie glaubte jedenfalls, sie zu kennen, aber dieser Mistkerl war verdammt vorsichtig, wenn Zeugen anwesend waren. Sie hatte nichts gesehen, was darauf hingedeutet hätte, dass da noch etwas anderes unter der Oberfläche lauerte. Er benahm sich wie ein ganz normaler Vater, der seine Tochter auf die richtige Art liebte.
    Wenn es so etwas denn überhaupt gab.
    Sein Benehmen, ganz zu schweigen von dem unablässigen Smalltalk, hatte sie schließlich nach draußen getrieben. Gordon hatte beinahe erleichtert gewirkt, als Clarke ihren Rucksack genommen hatte und in die Nacht hinausgegangen war. Jetzt stand sie da und blickte durch das reglose Wasser zum Grund eines flüssigen Gletschers hinab, tief und einladend und von verstärktem Mondlicht durchflutet. Ihre Augenkappen ließen den Wald um sie herum wie Gusszinnbronze und Silber erscheinen. Ihr Spiegelbild im stillen Wasser …
    … bewegte sich …
    … und wieder kehrte derselbe Unsinn zurück, während irgendein Teil ihres Gehirns ihr erneut eine fröhliche Lüge über liebevolle Eltern und warme Kindheitsnächte voller Geborgenheit auftischte …
    Sie sank auf die Knie und durchwühlte ihren Rucksack.
    Sie zog die Kapuze über und spürte, wie sich die Dichtung im Nacken unter ihrer Tunika schloss. Es gab natürlich noch andere Ausrüstungsteile – Schwimmflossen und Ärmel und Leggings –, aber dafür blieb keine Zeit. Sie war sechs Jahre alt und wurde ins Bett gebracht, und ihr würde nichts Schlimmes passieren, überhaupt nichts. Inzwischen wusste sie verdammt noch mal Bescheid, und sie würde sich den ganzen Mist nicht mehr bieten lassen, nicht, solange es auch nur den Hauch einer Chance gab …
    … es hat angefangen, als ich nach oben gekommen bin. Wenn ich wieder untertauche, hört es vielleicht auf …
    Sie zog nicht einmal ihre Kleider aus.
    Das Wasser traf sie wie ein elektrischer Schlag. Eiskalt und