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Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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der Mauer selbst befestigt.
    Höchstwahrscheinlich würde sich ihre Reichweite allerdings nicht sehr weit aufs Meer hinaus erstrecken.
    Eine Mechfliege, die nach Norden unterwegs war, war gerade aus der Dunkelheit aufgetaucht. Perreault klinkte sich in sie ein, flog damit von der üblichen Route abweichend nach Westen und hielt sich dabei dicht über der Meeresoberfläche. Unter ihr toste die Brandung.
    Dann hatte sie die Brecher überwunden und flog über einer sanften, mit einem Ölfilm bedeckten Dünung dahin. Sie wandte sich nach Süden.
    Hier draußen herrschte reger Verkehr. Ein Angriffshubschrauber mit nur undeutlich erkennbaren Markierungen schwebte bedrohlich über zwei sich zurückziehenden Ausflugsbooten. Seine Hülle wurde von einer Dämpferkuppel entstellt, die wie ein Tumor aussah. In der Nähe der Küste flitzten ein paar Mechfliegen umher; ein anderes Modell als das, in das Sou-Hon Perreault eingeklinkt war. Keine von ihnen nahm Notiz von ihr. Oder wenn sie es taten, dann glaubten sie offenbar, dass ihre Mechfliege einen höheren Rang besaß, als es eigentlich der Fall war.
    Perreault befand sich achthundert Meter von der Küste entfernt und flog immer noch dicht über der Dünung, westlich des Schauplatzes von Amitavs jüngstem Aufstand. Perreault verlangsamte ihr Fluginsekt, drehte bei und wandte sich dann in Richtung Festland.
    In der Ferne waren die Brecher zu sehen, ein Streifen schlammiger Sand, und weiter die Küste hinauf wimmelnde Bewegung. Sie drosselte die Geschwindigkeit und schwebte auf der Stelle, ihre Sinne immer noch intakt.
    In der Vergrößerung verwandelte sich das Wimmeln in ein Gewühl aus Menschenleibern.
    Alle waren auf der Flucht. Perreault hatte in der Zone noch nie ein solches Maß an Aktivität gesehen. Allerdings war die Bewegung ungerichtet. Es war keine geordnete Flucht. Offenbar gab es keinen Ort, an den man fliehen konnte. Manche der Zonenbewohner stürzten sich in die Brandung, doch die Mechfliegen, die Perreault zuvor gesehen hatte, trieben sie wieder zurück. Die meisten liefen einfach nur kopflos hin und her.
    Etwas in den Wolken schoss Blitze aus grünem Licht auf die Menschenmenge ab.
    Perreault richtete den Blick himmelwärts und hätte es beinahe nicht gesehen: eine sich rasend schnell bewegende Mechfliege, die in Richtung Süden verschwand. Und nun gab ihre eigene Mechfliege ein Warnsignal von sich – etwas näherte sich von hinten, etwas Großes und Tieffliegendes, das eine Tarnvorrichtung besaß …
    Natürlich ist es getarnt, sonst wäre es schon viel früher auf dem Radar aufgetaucht …
    … und viel zu nah war, als dass sie noch hätte entkommen können.
    Sie drehte die Fliege herum und sah es in weniger als zweihundert Metern Entfernung auf sie zu kommen: ein Lifter, der einem schwebenden Leviathan gleich auf die Küste zuflog. Sein Bauch war mit Reihen von Bullaugen übersät, seltsame, mit Messing eingefasste Fenster aus einem anderen Zeitalter, hinter deren Glasscheiben ein weiches, orangefarbenes Gaslicht flackerte. Sie kniff die Augen unter dem Headset zusammen und versuchte, das viktorianische Bild zu vertreiben. Plötzlich entlud sich mit einem Knistern Elektrizität aus einer Ausstülpung auf der Hülle des Luftschiffs. Grelles Licht flammte auf und erlosch sogleich wieder. In der Dunkelheit waren noch einen Augenblick lang alphanumerische Zeichen zu sehen, das letzte Aufhusten des Navigationssystems der Fliege. Dann nichts mehr, außer einer blinkenden Grabinschrift:
    Verbindung unterbrochen. Verbindung unterbrochen. Verbindung unterbrochen.
    Perreault nahm es kaum noch wahr. Sie versuchte nicht, die Verbindung wiederherzustellen – inzwischen war die Fliege längst abgestürzt. Sie schaltete nicht einmal auf einen anderen Kanal um. Sie konnte nur noch an das denken, was sie gesehen hatte. Und sich vorstellen, was sie nicht gesehen hatte.
    Die Fensteröffnungen am Rumpf des Lifters waren keine Bullaugen gewesen, sondern die großkalibrigen Mündungen industrieller Flammenwerfer. Ihre Zündflammen hatten geflackert wie heiße Zungen.

Jiminy Cricket
    Variationen eines Themas: Die Oregon-Zone, in Nebel gehüllt. Es herrschte ein diffuses, stahlgraues Abendlicht, und am Horizont deutete nicht einmal ein heller Fleck auf die Stelle hin, wo sich eigentlich die Sonne hätte befinden müssen. Flüchtlinge versammelten sich um die Futterstationen und vertrieben die feuchte Luft mit dem sanften orangefarbenen Leuchten transportabler Heizgeräte. Aus

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