Maienfrost
wäre denkbar, ja. Allerdings bin ich auf psychologischem Gebiet nicht sonderlich bewandert«, schränkte Alexander Probst seine Antwort sogleich ein. »Mein Eindruck ist lediglich subjektiver Natur und muss daher gar nichts zu bedeuten haben.«
Henning schien nachzudenken. »Eine Frage hätte ich noch«, meinte er schließlich. »Gehen Sie nur wegen des, aus medizinischer Sicht, zu geringen Blutverlustes davon aus, dass die Frau auf eine andere Art und Weise als durch die Schnittverletzung an ihrem Hals getötet wurde? Oder bezieht sich ihr Verdacht auch noch auf etwas Anderes?«
»Sie können mir glauben, dass ich alle zur Verfügung stehenden Mittel genutzt habe, um Licht in diesen mysteriösen Todesfall zu bringen. Obwohl bisher noch unklar ist, woran die Frau starb, kann ich anhand der bei der Obduktion gewonnenen Erkenntnisse die Schnittwunde als Ursache ausschließen.«
Die Antwort war eindeutig. Auch Kommissar Boström, der die ganze Zeit über als stummer Zuhörer fungierte, hatte keine weiteren Fragen an den Pathologen. Die Männer erhoben sich von ihren Plätzen. Henning bedankte sich. »Wir wissen es zu schätzen, dass Sie uns Ihre wertvolle Zeit geopfert haben.«
Nachdem die beiden Kriminalisten sich verabschiedet hatten, verlangte es sie danach, so schnell wie möglich die düsteren, Formalin geschwängerten Kellergewölbe des rechtsmedizinischen Institutes zu verlassen. Während sie zum Auto gingen, pumpten sie frische Luft in ihre Lungen.
Auf der Rückfahrt erkundigte sich Peer: »Und bist du nun schlauer?«
»Nicht unbedingt«, gestand Henning. »Aber zumindest ist mir eines klar geworden. Der Mörder wollte, dass sein Opfer gefunden wird. Deshalb stellt er es regelrecht zur Schau. Da nicht auszuschließen ist, dass er erneut zuschlägt, würde ich an deiner Stelle umgehend die Polizeipräsenz auf alle touristischen Attraktionen der Insel ausweiten.«
Kommissar Boström ließ Hennings Worte in sich nachwirken. »Was du sagst, klingt plausibel. Nur habe ich gar nicht so viele Männer, um sämtliche von dir angesprochenen Orte überwachen zu lassen. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit.«
»Dann setz Prioritäten! Wenn du nur die markantesten Wahrzeichen einbeziehst, müsste es doch machbar sein. Komm, lass uns mal nachzählen, welche Örtlichkeiten dafür in Betracht kämen. Die Kreidefelsen und das Naturschutzgebiet Jasmund können wir, glaube ich, getrost ausschließen. Ich halte es für wenig wahrscheinlich, dass der Täter zweimal an derselben Stelle zuschlägt. Was bliebe, wären sämtliche Seebrücken entlang der Bäderküste, das Gebiet um den Dornbusch auf Hiddensee, Kap Arkona, der Fährhafen von Sassnitz, die Naturbühne von Ralswieck …« Mit jeder weiteren, von Henning erwähnten Attraktion schwand ein Teil ihrer Zuversicht. Das gewaltige Ausmaß ihres Vorhabens schien dessen Umsetzung schon vorher unmöglich zu machen.
Dennoch ließ Kommissar Boström keine Möglichkeit ungenutzt, alle an anderer Stelle entbehrlichen Kräfte zu mobilisieren, um sie auf die auf seiner Liste stehenden Orte zu verteilen. Am Ende musste er jedoch resigniert feststellen, dass es mindestens doppelt so vieler Leute bedurft hätte, um auch nur annähernd die wichtigsten strategischen Punkte abzusichern. Nicht mehr Personal angefordert zu haben, sollte sich im Nachhinein als verhängnisvolle Fehlinterpretation der Lage herausstellen. Denn der Mörder schlief nicht. Vorausschauend wie er war, wusste er, dass das um ihn gezogene Netz engmaschiger wurde. Noch während die Vorbereitungen zu einer der großflächigsten Überwachungsaktion, die die Insel je gesehen hatte, anliefen, bereitete er sich auf sein nächstes Verbrechen vor.
6
Andächtig bewunderte er ihre prächtigen, in den Farben des Regenbogens schillernden Flügel, die so transparent und zerbrechlich wirkten, dass er sie nicht zu berühren wagte. Einem elfenhaften Wesen gleich, kam sie auf ihn zugeschwebt.
Dabei umspielte ihr langes, tiefschwarzes Haar auf unschuldige Art und Weise ihr herzförmiges Gesicht. Sie bedachte ihn mit ihrem schönsten Lächeln. Als sich ihre sinnlichen Lippen leicht öffneten, kam dahinter eine Reihe perfekt gewachsener Zähne zum Vorschein. Müsste er ihre Haut beschreiben, so hätte er sie als maurisch bezeichnet. Der Art, wie sie sich gab, haftete etwas Majestätisches an. Ihre dunklen, mandelförmigen Augen leuchteten ihm glutvoll entgegen.
Er schenkte ihr ein rasches, nervöses Lächeln. Automatisch erinnerte
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