Maienfrost
abzuarbeiten. Nachdem Henning sich sämtliche Adressen notiert und sich bei Jacob Glück für dessen Hilfe bedankt hatte, verabschiedete er sich.
Als er die Kirche verließ, war die Sonne bereits untergegangen. Sein soeben geführtes Gespräch noch einmal überdenkend, ging er zum Gasthaus zurück, aß eine Kleinigkeit zu Abend und begab sich danach auf sein Zimmer.
Am nächsten Morgen führte ihn sein Weg zum Anwesen von Pascal Austen, Carmens Ehemann. Wie er vom Pastor erfahren hatte, betrieb dieser auf dem ihm von Carmen vermachten Grund und Boden eine gut gehende Immobilienfirma. Vorbei an dem, in unmittelbarer Nähe zur Kirche, hoch oben auf einem mächtigen Sandsteinfelsen thronenden Schloss, welches neben dem Gemeindeamt die Touristeninformation und die Bücherei unter seinem Dach vereinte, gelangte er schon nach wenigen hundert Metern zu der angegebenen Adresse. Das Grundstück, wonach er suchte, lag etwas abseits der Dorfstraße und war von einem schmiedeeisernen Zaun umgeben. Ein gepflegter Rasen, mit kunstvoll gestutzten Hecken und Sträuchern bewachsen, gab den Blick auf ein herrschaftliches Anwesen frei. Dem im Villenstil errichteten Gebäude sah man an, dass bei seiner erst kürzlich erfolgten Sanierung weder Geld noch Kosten gescheut wurden, um seinen ursprünglichen Glanz wieder herzustellen. Eine Kiesauffahrt führte zum Eingangsportal, das von einer geschwungenen Freitreppe beherrscht wurde. Henning sah sich beeindruckt um. Der Handel mit Immobilien schien ein einträgliches Geschäft zu sein. Nachdem der Kommissar feststellen musste, dass das schmiedeeiserne Tor verschlossen und ihm somit der Zutritt zum Grundstück verwehrt war, klingelte er. Einem Rauschen in der Gegensprechanlage folgte die Stimme einer Frau, die sich als Herrn Austens Sekretärin zu erkennen gab und sich bei ihm nach dem Grund seines Besuches erkundigte. Henning stellte sich vor und bat darum, mit ihrem Arbeitgeber sprechen zu dürfen.
»Herr Austen ist momentan außer Haus. Darf ich fragen worum es geht?«
»Das würde ich gerne persönlich mit Herrn Austen besprechen wollen«, erwiderte Henning. Sich auf diese Art und Weise zu verständigen, hatte ihm noch nie sonderlich gefallen. Um einen unverbindlichen Ton bemüht, setzte er hinzu: »Richten Sie ihrem Chef aus, dass ich ihn dringend sprechen muss. Sagen Sie ihm, dass es mit seiner Frau und deren Tod vor dreizehn Jahren zu tun hat.«
»Sind Sie von der Polizei?«, fragte die Sekretärin mit veränderter Stimme.
»Sie haben es erfasst«, gab Henning sarkastisch zur Antwort. Untertänig notierte sich daraufhin die Sekretärin seine Handynummer und versprach, ihren Chef umgehend von ihrem Gespräch zu unterrichten.
Nach diesem kurzen Zwischenspiel zückte Henning sein Notizbuch, um die Adresse der Kronstedts nachzuschlagen: jener mit David Küster befreundeten Familie.
Die von Pfarrer Glück in Erfahrung gebrachte Anschrift lag, wie er seinen Aufzeichnungen entnehmen konnte, am anderen Ende des Ortes. Nach einer knappen Viertelstunde hatte der Kommissar das mehrgeschossige Wohnhaus, in dem die Kronstedts lebten, erreicht. Auf sein Läuten hin erschien eine ältere, stark geschminkte Frau an der Wohnungstür, die sich ihm als Christabelle Kronstedt vorstellte. Als sie hörte, weswegen der Kommissar sie sprechen wollte, bat sie ihn herein. Während Henning ihr ins Wohnzimmer folgte, versuchte er sich ein Bild von ihr zu machen. Er schätzte sie auf Anfang siebzig. Passend zu ihrem sorgfältig frisierten Haar, auf dem ein lila Schimmer lag, trug Christabelle Kronstedt ein auberginefarbenes Kleid. Der Wert, den sie auf ihr Äußeres zu legen pflegte, schien sich jedoch nicht auf die Einrichtung ihrer Wohnung übertragen zu lassen. Dazu fehlte es dem Raum, in dem Henning auf einer mit Häkeldeckchen und Kissen überladenen Plüschcouch einen Platz angeboten bekam, an Stil und Geradlinigkeit. Bunt zusammengewürfelt reihten sich auf einer Anrichte unzählige Figuren und Nippes, darunter auch einige Stücke aus echtem Meissener Porzellan, aneinander. Auf dem Couchtisch stand ein Strauß dunkelroter Rosen, die kraftlos die Köpfe hängen ließen. Um Unauffälligkeit bemüht, sah Henning sich um. Dabei fiel sein Blick auf ein Sammelsurium gerahmter Fotografien, unter denen sich auch eine Reihe äußerst billiger Kunstdrucke befanden. Christabelle Kronstedts Stimme riss ihn aus seinen Betrachtungen. »Darf ich Ihnen etwas anbieten? Eine Tasse Kaffee oder ein Mineralwasser?«,
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