Maigret - 26 - Maigret regt sich auf
eine Seite aus einem schmierigen Heft, in das sie ihre Abrechnungen eintrug. Sie begriff nicht, worauf er hinauswollte.
»Gestern … Lassen Sie mich nachdenken … Wir waren beim Käse. Es war demnach fast neun Uhr abends … Da ist Georges-Henry aus dem Fenster seines Zimmers gesprungen und weggerannt.«
»In welche Richtung?«
»Nach rechts. Wenn er zur Seine hinuntergelaufen wäre, hätte ich ihn im Park sehen müssen. Wenn er nach links gerannt wäre, hätte ich ihn auch gesehen, denn das Eßzimmer hat an beiden Seiten Fenster. Warten Sie … Sein Vater ist ihm gefolgt. Ernest Malik ist zwölf Minuten fortgeblieben. Allerdings hat er in diesen zwölf Minuten Zeit gefunden, die Hose zu wechseln und sich zu kämmen. Zu diesem Zweck hat er in sein Zimmer hinaufgehen müssen. Überlegen Sie gut, bevor Sie antworten; Sie kennen ja diese Gegend. In welche Richtung hätte Georges-Henry sich bewegen müssen, wenn er die Absicht hatte, Orsenne zu verlassen?«
»Rechts befindet sich das Haus von seiner Großmutter und seinem Onkel«, sagte sie zuerst und betrachtete die grobe Skizze, die er gerade gezeichnet hatte. »Zwischen den beiden Parkanlagen ist keine Mauer, sondern eine Hecke, die man an zwei oder drei Stellen überspringen kann.«
»Und dann?«
»Vom Nachbargrundstück aus hat er den Treidelpfad erreichen können. Wenn man dem folgt, kommt man zur Bahnstation.«
»Kann man den Weg vor der Bahnstation nicht verlassen?«
»Nein … Es sei denn, man hat ein Boot und kann über die Seine setzen.«
»Ist es möglich, weiter hinten im Park irgendwo zu entkommen?«
»Wenn man eine Leiter hat, denn hinter den beiden Grundstücken verläuft die Eisenbahnlinie. Bei den Amorelles wie bei den Maliks ist die Mauer so hoch, daß man nicht hinüberklettern kann.«
»Noch eine Auskunft. Als ich eine Stunde später heimgekehrt bin, war ein Boot auf dem Wasser. Ich habe gehört, daß Netze ausgeworfen wurden.«
»Das war Alphonse, der Sohn des Schleusenwärters.«
»Ich danke Ihnen, Raymonde. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, könnten wir zusammen zu Abend essen.«
»Da nichts zu essen im Haus ist …«
»Neben der Schleuse gibt es ein Kolonialwarengeschäft. Da werde ich alles Nötige einkaufen.«
Er war mit sich zufrieden. Er hatte das Gefühl, festen Boden unter den Füßen zu haben, und Raymonde sah, wie er sich schweren Schrittes in Richtung Schleuse entfernte. Bis zum Stauwehr waren es etwa fünfhundert Meter. Es lag kein Schiff in der Schleusenkammer, und der Schleusenwärter saß auf den blauen Steinen vor seiner Tür, schnitzte an einem Stück Holz für eines seiner Kinder, während man eine Frau mit einem Baby auf dem Arm im Dämmerlicht der Küche hin und her gehen sehen konnte.
»Sagen Sie …«, begann der ehemalige Kommissar.
Der andere hatte sich bereits erhoben und seine Hand an die Mütze geführt.
»Sie kommen wegen der Demoiselle, nicht wahr?«
Man kannte ihn schon in der Gegend. Jedermann war von seiner Anwesenheit unterrichtet.
»Mein Gott, ja und nein … Ich nehme an, Sie wissen nichts zu dem Fall zu sagen?«
»Höchstens, daß ich sie gefunden habe, dort, sehen Sie. An der dritten Wehrstange. Das hat mir einen Schock versetzt, denn ich kannte sie ja gut. Oft hat sie die Schleuse durchquert, um mit ihrem Paddelboot bis nach Corbeil hinunterzufahren.«
»Ihr Sohn war gestern abend auf dem Wasser?«
Der Mann zeigte Verlegenheit.
»Sie brauchen nichts zu befürchten. Ich beschäftige mich nicht mit Wilderei. Ich habe ihn gegen zehn Uhr gehört, aber ich möchte gerne wissen, ob er schon eine Stunde früher draußen war.«
»Das wird er Ihnen selbst sagen. Er ist in seiner Werkstatt, hundert Meter weiter unten. Er ist der Bootsbauer.«
Eine Werkstatt aus Holzplanken, in der zwei Männer damit beschäftigt waren, einen Fischerkahn mit flachem Kiel fertigzustellen.
»Ja, ich war mit Albert auf dem Fluß … Er ist mein Lehrling. Wir haben erst die Netze ausgelegt, dann auf dem Rückweg …«
»Wenn jemand mit dem Boot gegen neun zwischen dem Haus der Maliks und der Schleuse die Seine überquert hätte, würden Sie ihn dann bemerkt haben?«
»Bestimmt. Denn erstens war es noch nicht ganz dunkel. Und zweitens hätten wir ihn zumindest gehört, wenn wir ihn nicht gesehen hätten. Wenn man fischt wie wir, hat man ein feines Ohr, und …«
In dem kleinen Geschäft, in dem die Schiffer sich mit Nahrung versorgten, kaufte Maigret Konserven, Eier, Käse und Wurst.
»Man sieht, daß Sie im
Weitere Kostenlose Bücher