Maigret - 26 - Maigret regt sich auf
und seinem struwweligen Haarschopf.
Nun war Monita tot und Georges-Henry verschwunden.
Er mußte ihn suchen. Er würde ihn finden. Das zumindest war seine Aufgabe. Er hatte sich in Orsenne umgesehen. Er hatte jetzt nahezu die Gewißheit, daß der junge Mann den Ort nicht verlassen hatte. Oder er mußte annehmen, dass er sich in irgendeiner Ecke versteckt hatte, um die Nacht abzuwarten und sich dann davonstehlen zu können.
Maigret aß mit Appetit, wieder in der Küche, wieder allein mit Raymonde.
»Wenn die Chefin uns sähe, würde ihr das nicht gefallen«, bemerkte die Hausgehilfin. »Sie hat mich vorhin gefragt, was Sie gegessen haben. Ich habe ihr gesagt, daß ich Ihnen zwei Spiegeleier im Gastraum serviert habe. Sie hat sich auch erkundigt, ob Sie von Ihrer Abreise reden.«
»Vor oder nach Maliks Besuch?«
»Danach …«
»In diesem Fall wette ich, daß sie morgen wieder nicht herunterkommen wird.«
»Sie ist eben unten gewesen. Ich habe sie nicht gesehen. Ich war hinten im Garten. Aber ich habe gemerkt, daß sie unten war.«
Er lächelte. Er hatte begriffen. Er stellte sich vor, wie Jeanne lautlos die Treppe hinabgestiegen war, nachdem sie beobachtet hatte, daß ihr Hausmädchen in den Garten gegangen war, um sich dann eine Flasche aus dem Regal zu holen.
»Es könnte heute spät werden«, verkündete er.
»Sind Sie wieder eingeladen?«
»Nein, ich bin nicht eingeladen. Aber ich möchte gerne eine Runde machen.«
Bis zum Einbruch der Nacht ging er auf dem Treidelpfad spazieren. Darauf lenkte er seine Schritte zum Bahnübergang, wo er den Schrankenwärter im Dunkeln neben seiner Haustür sitzen und eine langstielige Pfeife rauchen sah.
»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich ein Stück die Schienen entlangmarschiere?«
»Mein Gott, das ist gegen die Vorschriften, aber wenn Sie von der Polizei sind, nicht wahr … Geben Sie acht, um zehn Uhr siebzehn fährt ein Zug durch …«
Er brauchte nur dreihundert Meter zurückzulegen, bis er die Mauer des ersten Besitzes gewahrte, des Grundstücks von Madame Amorelle und Charles Malik. Es war noch nicht völlig dunkel, doch in den Häusern brannte schon lange Licht.
Im Erdgeschoß waren die Lampen an. Ein Fenster in der ersten Etage, das zum Zimmer der alten Dame gehören mußte, stand weit offen, und es war eigenartig, so von fern durch die bläuliche Luft und die Stille des Parks das Innere einer Wohnung zu erblicken, in der die Möbel und Gegenstände in der gelblichen Beleuchtung wie erstarrt schienen.
Er verharrte eine Weile, um das Haus zu beobachten. Eine Gestalt trat in sein Blickfeld, aber es war nicht Bernadette, sondern ihre Tochter, die Frau von Charles, die nervös hin und her ging und mit Nachdruck zu sprechen schien.
Die alte Dame mußte in ihrem Sessel sitzen oder auf ihrem Bett oder in einer Ecke des Zimmers, die er nicht sehen konnte.
Er marschierte weiter auf dem Bahndamm entlang, und dann kam der zweite Park, der von Ernest Malik, weniger dicht bepflanzt, luftiger, mit seinen breiten und gepflegten Alleen. Auch hier brannten Lichter, aber man konnte sie nur durch die Ritzen der Jalousien wahrnehmen und nicht ins Innere hineinschauen.
Im Park, den er ganz überblickte, bemerkte Maigret, hinter jungen Haselnußsträuchern verborgen, die am Gleiskörper wuchsen, zwei hohe weiße und lautlose Gestalten, und er erinnerte sich an die dänischen Doggen, die am Vortag gekommen waren, um ihrem Herrchen die Hände zu lecken.
Wahrscheinlich ließ man sie nachts frei herumlaufen, und sicher waren es scharfe Tiere.
Rechts im Hintergrund des Parks erhob sich ein Häuschen, das der Kommissar noch nicht gesehen hatte und in dem vermutlich die Gärtner und der Chauffeur wohnten.
Dort ein vereinzeltes Licht, das eine halbe Stunde später erlosch.
Der Mond schien wieder nicht, dennoch war die Nacht weniger finster als die vorige. Maigret hatte sich friedlich auf die Böschung vor die Haselnußsträucher gesetzt, die ihn verdeckten und die er wie einen Vorhang beiseite schieben konnte.
Der Zug um zehn Uhr siebzehn donnerte kaum drei Meter hinter ihm vorbei, und er schaute dem Rücklicht nach, das in der Kurve verschwand.
Die wenigen Lampen von Orsenne gingen eine nach der anderen aus. Der alte Groux schien heute abend keine Ringeltauben zu schießen, denn die Stille der Nacht wurde durch keinen einzigen Schuß gestört.
Es war fast elf Uhr, als endlich die beiden Hunde, die sich nebeneinander hingelegt hatten, wie auf Kommando aufsprangen und auf
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