Maigret - 31 - Mein Freund Maigret
gesprochen, Sie hätten sich ihrer angenommen. Jemand hat gemurmelt: ›Maigret ist genauso ein Satan wie die anderen.‹ Verzeihen Sie, wenn ich das wiederhole.«
»Das macht nichts. Fahren Sie nur fort.«
»Das ist alles. Darauf hat er dann begonnen, Sie zu verteidigen. Sie seien sein Freund, und ihm sei ein Freund heilig. Wenn ich mich recht erinnere, hat Chariot ihn deswegen gehänselt, und er hat sich darüber sehr aufgeregt.«
»Können Sie mir genau sagen, wie das dann endete?«
»Das ist schwer. Es war schon spät.«
»Wer ist als erster gegangen?«
»Das weiß ich nicht mehr. Paul hatte schon lange die Läden geschlossen. Er saß an unserem Tisch. Wir haben noch eine letzte Flasche getrunken und sind dann, glaube ich, zusammen aufgebrochen.«
»Wer?«
»Der Major hat sich auf dem Platz von uns getrennt und ist in sein Haus zurückgekehrt. Chariot, der in der ›Arche‹ schläft, ist dort geblieben. Mrs. Wilcox und ich sind zum Landungssteg gegangen, wo wir unser Boot festgemacht hatten.«
»Hatten Sie einen Matrosen bei sich?«
»Nein. Gewöhnlich lassen wir sie an Bord. Es wehte ein starker Mistral, und das Meer war stürmisch. Marcellin wollte uns hinüberbringen.«
»Er war also bei Ihnen, als Sie in das Boot stiegen?«
»Ja, aber er ist an Land geblieben und dann wohl in seine Hütte gegangen.«
»Jedenfalls waren Mrs. Wilcox und Sie die letzten, die ihn lebend gesehen haben.«
»Außer dem Mörder.«
»War die Fahrt zur Jacht für Sie nicht schwierig?«
»Woher wissen Sie das?«
»Sie haben mir doch eben gesagt, das Meer sei sehr stürmisch gewesen.«
»Wir sind ganz durchnäßt angekommen. Im Boot stand das Wasser zwanzig Zentimeter hoch.«
»Sind Sie gleich schlafen gegangen?«
»Ich habe noch ein paar Grogs gemacht, damit wir uns etwas aufwärmen konnten, und dann haben wir noch eine Partie Gin Rummy gespielt.«
»Was bitte?«
»Das ist ein Kartenspiel.«
»Wie spät war es?«
»Ungefähr zwei Uhr morgens. Wir gehen nie früh zu Bett.«
»Haben Sie nichts Ungewöhnliches gesehen oder gehört?«
»Bei dem Mistral konnte man nichts hören.«
»Gehen Sie heute abend wieder in die ›Arche‹?«
»Wahrscheinlich.«
»Ich danke Ihnen.«
Maigret und Mr. Pyke blieben einen Augenblick allein, und der Kommissar blickte seinen Kollegen mit ganz verschlafenen Augen an. Er hatte das Gefühl, das alles war sinnlos, und er hätte es ganz anders anfangen müssen. Zum Beispiel wäre er gern draußen in der prallen Sonne auf dem Platz gewesen, hätte seine Pfeife geraucht und dabei den Boulespielern zugesehen, die gerade eine große Partie begonnen hatten. Oder er hätte sich im Hafen herumgetrieben und den Fischern zugeguckt, wie sie ihre Netze flickten. Auch die Gallis und Morins, von denen Lechat flüchtig zu ihm gesprochen hatte, hätte er gern alle kennengelernt.
»Ich glaube, Mr. Pyke, bei Ihnen gehen die Untersuchungen in einer genau festgelegten Ordnung vor sich, nicht wahr?«
»Das kommt darauf an. Nach einem vor zwei Jahren in der Nähe von Brighton begangenen Verbrechen beispielsweise mietete sich einer meiner Kollegen dort in einem Gasthof ein, und er verbrachte seine Tage mit Angeln und die Abende damit, daß er mit den Einheimischen Ale trank.«
Das war genau das, was auch Maigret gern getan hätte, aber was er wegen eben dieses Mr. Pyke nicht getan hatte. Als Lechat hereinkam, war Maigret schlechter Laune.
»Der Major hat nicht kommen wollen«, meldete der Inspektor. »Er sitzt untätig in seinem Garten. Ich habe ihm gesagt, Sie bäten ihn, hier einmal vorbeizukommen. Aber er hat mir geantwortet, wenn Sie ihn sehen wollten, brauchten Sie nur zu ihm zu kommen und mit ihm eine Flasche zu trinken.«
»Das ist sein Recht.«
»Wen wollen Sie jetzt verhören?«
»Niemand. Ich hätte gern, daß Sie einmal in Hyères anriefen. In der ›Arche‹ wird ja wohl ein Telefon sein. Verlangen Sie Ginette im ›Hotel des Palmes‹. Sagen Sie ihr von mir, es würde mich sehr freuen, wenn sie einmal herkäme.«
»Wo treffe ich Sie wieder?«
»Das weiß ich auch nicht. Sicherlich am Hafen.«
Sie gingen langsam über den Platz, Mr. Pyke und er, und die Leute blickten ihnen nach. Man hätte meinen können, voller Mißtrauen, aber der Grund dafür war nur, daß sie nicht wußten, wie sie es anfangen sollten, mit dem berühmten Maigret ins Gespräch zu kommen. Dieser wiederum fühlte sich ganz als Fremder.
Aber er spürte, daß es nur eines winzigen Anstoßes bedurfte, um jeden
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