Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret - 31 - Mein Freund Maigret

Maigret - 31 - Mein Freund Maigret

Titel: Maigret - 31 - Mein Freund Maigret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
hier zum Sprechen zu bringen, ja vielleicht sogar zu einem wahren Schwall von Worten.
    »Haben Sie nicht auch den Eindruck, Mr. Pyke, daß man hier ganz weit weg ist? Sehen Sie, da drüben liegt Frankreich, kaum zwanzig Minuten sind es mit dem Schiff bis dorthin, und doch komme ich mir hier so verloren vor, als wäre ich tief in Afrika oder Südamerika.«
    Kinder hielten mit ihren Spielen ein, um die beiden prüfend anzublicken. Sie gingen am ›Grandhotel‹ vorüber, zum Hafen, und Inspektor Lechat kam dort schon auf sie zu.
    »Ich habe nicht mit ihr sprechen können«, meldete er. »Sie ist schon wieder abgereist.«
    »Ist sie nach Nizza zurückgefahren?«
    »Das wohl kaum. Denn sie hat dem Hotelbesitzer erklärt, sie würde morgen, rechtzeitig zum Begräbnis, wiederkommen.«
    Am Landungssteg schaukelten die bunten Barken, und man sah die große Jacht, die fast den ganzen Hafen einnahm, und dahinter, nicht weit von einer Felsenspitze, die ›North Star‹. Aber die Leute, die sich versammelt hatten, blickten alle auf ein anderes Schiff, das gerade ankam.
    »Das ist die ›Cormoran‹«, erklärte Lechat. »Es muß also fünf Uhr sein.«
    Ein junger Bursche, an dessen Mütze in Goldbuchstaben ›Grandhotel‹ stand, wartete mit einem für Gepäck bestimmten Karren auf eventuelle Gäste. Das kleine weiße Schiff kam langsam auf den silbernen Wogen näher, und schon bemerkte Maigret am Bug eine Frauengestalt.
    »Das ist wahrscheinlich Ginette, die Sie hier treffen will«, sagte der Inspektor. »In Hyères wissen sicher alle, daß Sie hier sind.«
    Es war ein seltsames Schauspiel, wie die Menschen auf dem Schiff allmählich immer größer und immer deutlicher erkennbar wurden. Besonders verwirrend war es, dort eine sehr dicke, sehr würdige, ganz in Seide gekleidete, stark geschminkte und wohl auch ebenso stark parfümierte Frau mit den Zügen Ginettes zu sehen.
    Aber war nicht Maigret, als er sie in der Brasserie des Ternes kennengelernt hatte, auch bedeutend schlanker gewesen? Und mußte sie nicht dieselbe Enttäuschung wie er empfinden, wie sie ihn da jetzt vom Deck der ›Cormoran‹ her sah?
    Man mußte ihr beim Aussteigen behilflich sein. Außer ihr und Baptiste, dem Kapitän, waren nur noch ein stummer Matrose und der Briefträger an Bord. Der Junge mit der goldbetreßten Mütze wollte ihr Gepäck ergreifen.
    »Zur ›Arche Noah‹!« sagte sie.
    Sie kam auf Maigret zu, zögerte dann aber, vielleicht wegen Mr. Pyke, den sie nicht kannte.
    »Man hat mir mitgeteilt, daß Sie hier seien. Ich habe mir gedacht, Sie würden mich vielleicht gern sprechen wollen. Armer Marcel …«
    Sie sagte nicht Marcellin, wie die anderen. Sie spielte nicht die große Leidtragende. Sie war ein reifer, sanfter, stiller Mensch geworden, mit einem leisen, schmerzlichen Lächeln.
    »Sind Sie auch in der ›Arche‹ abgestiegen?«
    Lechat ergriff ihren Koffer. Sie schien die Insel zu kennen und ging ruhig, ohne Hast, wie jemand, der leicht außer Atem kommt oder der nicht für die frische Luft geschaffen ist.
    »Man behauptet, er sei ermordet worden, weil er von Ihnen gesprochen hat. Glauben Sie das?«
    Hin und wieder warf sie einen zugleich neugierigen und unruhigen Blick auf Mr. Pyke.
    »Sie können ruhig vor ihm sprechen. Er ist ein Freund von mir, ein englischer Kollege, der für einige Tage bei mir zu Besuch ist.«
    Sie verneigte sich, ganz wie eine Dame von Welt, leicht vor dem Mann von Scotland Yard und seufzte, wobei sie verstohlen Maigrets beträchtlichen Leibesumfang musterte:
    »Ich habe mich verändert, nicht wahr?«

4
Ginettes Verlobung
    Es war ein seltsamer Anblick, wie sie in einer Anwandlung von Scham ihren Rock eng an sich preßte, weil die Treppe steil war und Maigret hinter ihr ging.
    Sie war in die ›Arche‹ hineingegangen, als käme sie nach Hause, und hatte mit der selbstverständlichsten Miene gesagt:
    »Hast du noch ein Zimmer für mich, Paul?«
    »Du wirst dich mit dem kleinen neben dem Badezimmer begnügen müssen.«
    Dann hatte sie sich Maigret zugewandt:
    »Wollen Sie nicht einen Augenblick mit hinaufkommen, Herr Kommissar?«
    In dem Hause, das sie in Nizza leitete, hätten diese Worte zweideutig geklungen. Hier aber taten sie es nicht. Sie verstand dennoch Maigrets Zögern falsch, der nur darauf bedacht war, nichts von der Untersuchung vor Mr. Pyke zu verbergen. Einen Augenblick hatte sie ihr fast berufsmäßiges Lächeln.
    »Ich bin nicht gefährlich, wissen Sie.«
    Zu Maigrets Erstaunen sprach der

Weitere Kostenlose Bücher