Maigret - 31 - Mein Freund Maigret
nicht mehr, lebte auf seinem Boot oder in seiner Hütte. Er trank viel. Es gelang ihm immer wieder, sich etwas zu beschaffen. Meine Geldsendungen halfen ihm dabei. Ich weiß, was man denkt, wenn ein Mensch wie er ermordet worden ist …«
»Was meinen Sie damit?«
»Sie wissen es ebenso. Man glaubt, das habe mit bestimmten Kreisen zu tun, es sei eine Abrechnung von Verbrechern untereinander oder ein Racheakt. Aber das ist nicht der Fall.«
»Das wollten Sie mir vor allem sagen, nicht wahr?«
»Seit einigen Minuten habe ich den Faden meiner Gedanken verloren. Sie haben sich so verändert! Verzeihen Sie, ich spreche nicht vom Aussehen …«
Er mußte, ohne es zu wollen, über ihre Verlegenheit lächeln.
»Damals in Ihrem Büro am Quai des Orfèvres konnte man ganz vergessen, daß Sie zur Polizei gehörten.«
»Sie haben große Angst, daß ich Leute aus bestimmten Kreisen verdächtigen könnte? Sind Sie vielleicht zufällig in Chariot verliebt?«
»Nein, ganz bestimmt nicht. Nach all den Operationen, die ich durchgemacht habe, würde es mir schwerfallen, die Geliebte irgendeines Mannes zu sein. Ich bin keine Frau mehr, wenn Sie es genau wissen wollen. Und Chariot interessiert mich nicht mehr als die anderen.«
»Sagen Sie mir jetzt das andere.«
»Was soll da sonst noch sein? Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich nicht weiß, wer den armen Marcel umgebracht hat.«
»Aber Sie wissen, wer ihn nicht umgebracht hat.«
»Ja.«
»Sie wissen, daß ich jemanden verdächtigen könnte.«
»Nun, das werden Sie schon in diesen Tagen tun, wenn Sie es nicht bereits getan haben. Ich hätte es Ihnen gleich gesagt, wenn Sie mich nicht wie eine Fremde ausgefragt hätten. Ich muß Monsieur Emil heiraten, das ist es.«
»Wann?«
»Wenn Justine tot ist.«
»Warum müssen Sie warten, bis sie nicht mehr da ist?«
»Ich habe es Ihnen ja schon gesagt; sie ist eifersüchtig auf alle Frauen. Deswegen hat er sich nicht verheiratet und auch nie auch nur eine Geliebte gehabt. Wenn er alle Jubeljahre einmal eine Frau brauchte, hat sie für ihn die am wenigsten gefährliche ausgesucht und ihm obendrein noch gute Ratschläge gegeben. Jetzt ist ihm das Verlangen ganz vergangen.«
»Und dennoch beabsichtigt er, sich zu verheiraten?«
»Weil er eine wahnsinnige Angst hat, allein zu bleiben. Solange seine Mutter lebt, fühlt er sich geborgen. Sie verhätschelt ihn wie ein Baby. Aber lange macht sie es nicht mehr. Ein Jahr höchstens noch.«
»Hat das der Arzt gesagt?«
»Sie hat Krebs und ist zu alt, um eine Operation überstehen zu können. Er selber denkt auch immer, daß er bald sterben wird. Mehrmals am Tage hat er Erstickungsanfälle, wagt sich nicht zu rühren, als ob die kleinste Bewegung für ihn verhängnisvoll werden könnte.«
»Und so hat er Ihnen einen Heiratsantrag gemacht?«
»Ja. Er hat sich davon überzeugt, daß ich ganz geeignet wäre, ihn zu pflegen. Er hat mich sogar von mehreren Ärzten untersuchen lassen. Justine weiß natürlich nichts davon, sonst hätte sie mich schon längst vor die Tür gesetzt.«
»Und Marcel?«
»Ich habe es ihm gesagt.«
»Wie hat er es aufgenommen?«
»Es hat ihn nicht weiter bewegt. Er fand, es sei richtig von mir, daß ich mich für meine alten Tage sicherte. Ich glaube, es hat ihm Freude gemacht, zu wissen, daß ich dann hier leben würde.«
»War Emil nicht eifersüchtig auf Marcel?«
»Warum hätte er eifersüchtig sein sollen? Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß nichts mehr zwischen uns war.«
»Darum also wollten Sie mich so dringend sprechen?«
»Ich habe über alle Vermutungen nachgedacht, zu denen Sie kommen würden und die der Wirklichkeit nicht entsprechen.«
»Daß zum Beispiel Marcel Emil hätte erpressen können und dieser, um ihn loszuwerden.«
»Marcel hat niemand erpreßt, und Emil würde eher verhungern, als auch nur einem Huhn den Hals umzudrehen.«
»Sie waren also in den letzten Tagen nicht auf der Insel?«
»Das können Sie leicht nachprüfen.«
»Weil Sie das Haus in Nizza nicht verlassen haben, meinen Sie wohl? Das ist allerdings ein ausgezeichnetes Alibi.«
»Brauche ich das?«
»Nach Ihrer Bemerkung eben spreche ich jetzt als Angehöriger der Polizei mit Ihnen. Marcel hätte trotz allem Ihnen lästig werden können. Zumal Emil ein dicker Brocken ist, ein sehr dicker Brocken. Wenn er Sie heiraten sollte, würde er Ihnen nach seinem Tode ein beträchtliches Vermögen hinterlassen.«
»Ein ziemlich beträchtliches, ja! Ich frage mich jetzt,
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