Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret - 35 - Maigrets Memoiren

Maigret - 35 - Maigrets Memoiren

Titel: Maigret - 35 - Maigrets Memoiren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
mit ziemlich spöttischer Miene:
    »Na? Was ist mit dem neuen Maigret?«
    Ich habe ihm mit seinen Worten von damals zu antworten versucht.
    »Er beginnt Gestalt anzunehmen. Vorläufig ist er nur eine Silhouette. Ein Hut. Ein Überzieher. Aber es ist sein wirklicher Hut. Sein wirklicher Überzieher. Nach und nach kommt vielleicht das Übrige hinzu, bekommt er Arme, Beine, ein Gesicht? Wer weiß, vielleicht fängt er noch selber zu denken an, ohne daß ihm ein Romanschriftsteller hilft?«
    Simenon ist jetzt ungefähr so alt, wie ich es war, als wir uns kennenlernten. Damals schien er mich als reifen, ja insgeheim schon als alten Mann zu betrachten.
    Ich habe ihn nicht gefragt, was er heute denkt, doch eine kleine Bemerkung habe ich mir nicht verkneifen können.
    »Wissen Sie, daß Sie in den letzten Jahren angefangen haben, auf die gleiche Art zu gehen, die Pfeife zu rauchen, ja sogar zu sprechen wie Ihr Maigret?«
    Es ist die Wahrheit, und das verschafft mir begreiflicherweise ein köstliches Gefühl befriedigter Rache.
    Man könnte fast sagen, er habe nach all den Jahren begonnen, sich für mich zu halten.

3
Ein Kapitel, in welchem ich versuchen werde, von einem bärtigen Doktor zu erzählen, der das Schicksal meiner Familie und am Ende vielleicht auch die Wahl meiner Laufbahn beeinflußt hat
    Ich weiß nicht, ob ich heute morgen den richtigen Ton finde, denn mein Papierkorb ist schon voll von Blättern, die ich eines nach dem anderen zerrissen habe.
    Und gestern abend hätte ich um ein Haar aufgegeben.
    Während meine Frau las, was ich tagsüber geschrieben hatte, beobachtete ich sie, scheinbar wie gewohnt in meine Zeitung vertieft, und in einem bestimmten Augenblick hatte ich den Eindruck, sie sei überrascht. Danach warf sie mir bis zum Schluß immer wieder verwunderte, fast bekümmerte Blicke zu.
    Anstatt sogleich mit mir zu reden, stand sie auf, legte das Manuskript stumm in die Schublade zurück, und es dauerte eine ganze Weile, ehe sie, um einen möglichst leichten Ton bemüht, erklärte:
    »Es klingt, als könntest du ihn nicht leiden.«
    Ich brauchte nicht erst zu fragen, wen sie meinte, und jetzt war die Reihe an mir, sie verständnislos anzustarren.
    »Was sagst du da!« rief ich. »Seit wann soll denn Simenon nicht mehr unser Freund sein?«
    »Ja, schon …«
    Ich überlegte mir, was in ihrem Kopf vorgehen mochte, versuchte mich zu erinnern, was ich geschrieben hatte.
    »Vielleicht täusche ich mich«, fuhr sie fort. »Sicher täusche ich mich, da du es sagst. Aber beim Lesen gewisser Abschnitte gewann ich den Eindruck, du habest einen echten Rachedurst gestillt. Versteh mich richtig. Keines dieser heftigen Rachegefühle, zu denen man sich offen bekennt. Etwas Hinterhältigeres, etwas …«
    Sie sprach es nicht aus, ich tat es für sie: »… etwas Gemeineres …«
    »Weiß Gott, nichts wäre mir ferner gelegen! Nicht nur habe ich mit Simenon schon immer die herzlichsten Beziehungen unterhalten, er ist auch bald ein Freund der Familie geworden, und wenn meine Frau und ich jeweils eine unserer seltenen Sommerreisen unternahmen, so verbanden wir damit fast immer einen Besuch in der Gegend, wo er sich gerade niedergelassen hatte: im Elsaß, in Porquerolles, in der Charente, in der Vendée, um nur einige seiner wechselnden Domizile aufzuzählen. Und als ich vor einiger Zeit zu einer halboffiziellen Tournee durch die Vereinigten Staaten eingeladen wurde, habe ich vielleicht nur deshalb zugesagt, weil ich wußte, ich würde ihn in Arizona treffen, wo er damals wohnte.«
    »Ich schwöre dir …«, begann ich feierlich.
    »Ich glaube dir. Es sind die Leser, die dir vielleicht nicht glauben.«
    Es ist meine Schuld, ich weiß es. Ich bin es nicht gewohnt, mich ironisch zu geben, und es ist mir klar, daß meine Art schwerfällig wirkt. Dabei war mir so viel daran gelegen gewesen, ein schwieriges, meiner Eigenliebe nicht unbedingt schmeichelndes Thema mit möglichst behutsamer, leichter Hand anzupacken.
    Was ich möchte, ist im Grunde nicht mehr und nicht weniger, als ein Bild mit einem anderen Bild, einen Menschen nicht mit seinem Schatten, aber mit seinem Doppelgänger in Einklang zu bringen. Und Simenon hat mich als erster dazu ermuntert.
    Zur Beruhigung meiner Frau, die mit geradezu fanatischer Treue an ihren Freunden hängt, füge ich hinzu, daß Simenon – wie ich es schon gestern rein spaßeshalber mit anderen Worten gesagt habe – nichts mehr von dem jungen Mann an sich hat, dessen aggressive

Weitere Kostenlose Bücher