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Maigret - 35 - Maigrets Memoiren

Maigret - 35 - Maigrets Memoiren

Titel: Maigret - 35 - Maigrets Memoiren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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daß das blaugekleidete Mädchen Louise hieß und daß es die Nichte der Gastgeber war.
    Sie bot erst jedermann die Schüssel an, ehe sie zu mir trat und, auf ein paar Kekse deutend, die oben mit einem kleinen Stück kandierter Frucht verziert waren, augenzwinkernd sagte:
    »Die besten hat man übrig gelassen. Kosten Sie von diesen hier!«
    Es fiel mir keine andere Antwort ein als:
    »Glauben Sie?«
    Es waren die ersten Worte, die wir miteinander wechselten, Madame Maigret und ich.
     
    Wenn sie später liest, was ich hier schreibe, wird sie bestimmt die Schultern zucken und murmeln:
    »Wozu das alles erzählen?«
    Im Grund war sie entzückt von dem Bild, das Simenon von ihr gezeichnet hatte: als braves Hausmütterchen und Heimchen am Herd, immerzu Böden wachsend, immerzu ihr großes Kind von einem Ehemann hegend und pflegend. Ich habe sie sogar im Verdacht, daß sie ihm gerade wegen dieses Bildes als erste eine echte Freundschaft entgegengebracht hat, daß sie ihn zur Familie zählt und auch dann noch verteidigt, wenn ich nicht im Traum daran denke, ihn anzugreifen.
    Und doch, wie jedes Porträt ist auch dieses bei weitem nicht wahrheitsgetreu.
    Als ich sie an jenem berühmten Abend kennenlernte, war sie ein etwas molliges junges Mädchen mit einem taufrischen Gesicht und tanzenden Fünkchen in den Augen, wie ich sie bei keiner ihrer Freundinnen sah.
    Was wäre geschehen, wenn ich die Kekse nicht gegessen hätte? Es wäre durchaus möglich, daß sie mich unter dem Dutzend anwesender junger Männer, die bis auf meinen Freund Jubert allesamt der Straßen- und Brückenbau-Verwaltung angehörten, überhaupt nicht beachtet hätte.
    Die drei Worte ›Straßen- und Brückenbau‹ haben für uns eine ans Komische grenzende Bedeutung erlangt, und wenn eines von uns sie ausspricht, können wir uns eines Lächelns nicht erwehren, und wenn wir sie irgendwo erwähnen hören, können wir es heute noch nicht verhindern, daß wir einander vielsagend zublinzeln.
    Der Ordnung halber sollte ich jetzt die ganze Genealogie der Schöller, Kurt und Léonard aufzeichnen, in der ich mich lange nicht zurechtgefunden habe und die man bei uns die ›weibliche Linie‹ nennt.
    Wenn Sie ins Elsaß fahren, von Straßburg nach Mülhausen, werden Sie wahrscheinlich einiges darüber hören. Soviel ich weiß, war es ein Kurt aus Scharrachbergheim, der unter Napoleon als erster die sozusagen dynastische Überlieferung des Straßen- und Brückenbau-Amtes begründet hat. Es heißt, er sei ein berühmter Mann gewesen, als er in eine Familie Schöller einheiratete, die in der gleichen Verwaltung tätig war.
    Später sind auch Léonards durch Einheirat zur Kurt-Schöller-Sippe gestoßen, und seither gehört so ziemlich jeder dem gleichen Korps an, vom Vater zum Sohn, vom Bruder zum Schwager oder Vetter, so daß es geradezu als eine Zerfallserscheinung galt, als ein Kurt einer der größten Bierbrauer von Colmar wurde.
    Das alles konnte ich an jenem Abend höchstens annähernd erraten, und auch das nur dank den paar Andeutungen, die Jubert hatte fallenlassen.
    Und als wir bei strömendem Regen das Haus verließen, wobei wir diesmal auf eine Droschke verzichteten, weil wir in dem Quartier ohnehin kaum eine gefunden hätten, war ich selber nahe daran zu bedauern, daß ich den falschen Beruf gewählt hatte.
    »Wie findest du sie?«
    »Wen?«
    »Louise! Ich will dir zwar keinen Vorwurf machen, die Situation war aber doch recht peinlich. Hast du gesehen, wie taktvoll sie dir aus der Patsche half, ohne sich etwas anmerken zu lassen? Ein erstaunliches Mädchen. Alice Perret mag ja geistreicher sein, aber …«
    Ich wußte nicht, wer Alice Perret war. Den ganzen Abend hatte ich nur das Mädchen in Hellblau angeschaut, das sich in den Tanzpausen zu mir setzte und mit mir plauderte.
    »Alice ist die, die gesungen hat. Sie wird sich wohl bald mit Louis verloben. Er war ihr Begleiter. Seine Eltern sind ungeheuer reich.«
    In jener Nacht sind wir sehr spät auseinandergegangen. Bei jedem neuen Regenguß kehrten wir in einem noch offenen Bistro ein, um Schutz zu suchen und Kaffee zu trinken. Félix wollte mich unter keinen Umständen gehen lassen. Er redete unaufhörlich von Louise, wollte mich mit allen Mitteln zwingen zuzugeben, daß sie ein ideales junges Mädchen sei.
    »Ich weiß, ich habe nicht viel Chancen. Ihre Eltern haben sie zu Onkel Léonard geschickt, weil sie Louise mit einem Straßen- und Brückenbau-Mann verheiraten möchten. In Colmar oder Mülhausen

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