Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret - 35 - Maigrets Memoiren

Maigret - 35 - Maigrets Memoiren

Titel: Maigret - 35 - Maigrets Memoiren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
diskret waren, als wir zu sein glaubten. Sicher ist, daß sich von einem Freitag auf den anderen immer weniger Gäste bei Anselme und Géraldine einfanden.
    Die große Aussprache mit Jubert fand im Februar in meinem Zimmer statt. An jenem Freitagabend fiel mir sofort auf, daß er keinen Frack anhatte. Er trug die düstere, resignierte Miene großer Tragöden an der Comédie Française zur Schau.
    »Ich bin trotzdem hergekommen, um dir den Schlips zu binden«, sagte er mit einem schiefen Lächeln.
    »Bist du nicht frei?«
    »Im Gegenteil, ich bin vollkommen frei, frei wie ein Vogel, so frei, wie ich es noch nie gewesen bin.«
    Er stand vor mir, meinen weißen Schlips in der Hand, und schaute mir tief in die Augen:
    »Louise hat mir alles gesagt.«
    Ich fiel aus allen Wolken. Denn mir hatte sie nichts gesagt. Auch ich hatte ihr nichts gesagt.
    »Wovon redest du?«
    »Von dir und ihr.«
    »Aber …«
    »Ich habe ihr die Frage gestellt. Ich bin eigens hingegangen, gestern.«
    »Was für eine Frage?«
    »Ob sie mich heiraten will.«
    »Und sie hat nein gesagt?«
    »Sie hat nein gesagt. Sie habe mich sehr gern, ich würde immer ihr bester Freund bleiben, aber …«
    »Hat sie auch von mir gesprochen?«
    »Nicht eigentlich.«
    »Nun, dann …«
    »Ich habe alles gewußt. Ich hätte es schon am ersten Abend wissen müssen, als du die Kekse aßest und sie dich so nachsichtig beobachtete. Wenn Frauen einen Mann, der sich so benimmt wie du, mit so viel Nachsicht anschauen …«
    Armer Jubert! Fast unmittelbar danach haben wir ihn aus den Augen verloren und mit ihm alle die Herren vom Amt für Straßen- und Brückenbau, ausgenommen Onkel Léonard.
    Jahrelang wußten wir nicht, was aus ihm geworden war. Und ich war schon fast fünfzig, als ich eines Tages an der Canebière in Marseilles in eine Apotheke ging, um Aspirin zu kaufen. Den Namen auf dem Schaufenster hatte ich nicht gelesen. Plötzlich rief jemand:
    »Maigret!«
    »Jubert!«
    »Was treibst du die ganze Zeit? Aber was frage ich dich, ich Trottel, wo ich es seit langem aus den Zeitungen weiß! Wie geht es Louise?«
    Dann erzählte er mir von seinem ältesten Sohn, der sich – o freundliche Ironie des Schicksals! – auf seine Examen in Straßen- und Brückenbau vorbereitete.
     
    Nach Juberts Ausscheiden wurde der Kreis der Freitaggäste am Boulevard Beaumarchais immer kleiner, und oft war jetzt niemand da, der sich als Pianist betätigte. Dann setzte Louise sich ans Klavier, und ich drehte ihr die Notenblätter um, während ein oder zwei Paare im zu groß gewordenen Speisezimmer tanzten.
    Ich glaube nicht, daß ich Louise überhaupt gefragt habe, ob sie mich heiraten wolle. Meist sprachen wir von meiner Karriere, von der Polizei, vom Inspektorenberuf.
    Ich sagte ihr, wieviel ich verdienen würde, wenn ich endlich an den Quai des Orfèvres versetzt werden sollte, beeilte mich aber stets zu versichern, daß ich erst in drei Jahren damit rechnen könne und daß mein Gehalt mittlerweile nicht ausreiche, um eine Frau standesgemäß zu unterhalten.
    Ich erzählte ihr von meinen paar Gesprächen mit Xavier Guichard, damals schon ›der große Chef‹; ich erklärte ihr, wie er immer noch an meinem toten Vater hing und mich mehr oder weniger unter die Fittiche genommen hatte.
    »Ich weiß zwar nicht, ob Ihnen Paris gefällt, aber ich werde voraussichtlich mein ganzes Leben in Paris verbringen müssen.«
    »Man kann hier genauso friedlich leben wie in der Provinz, glauben Sie nicht?«
    An einem Freitagabend schließlich fand ich keinen einzigen Gast vor. Nur Géraldine war da, in einem schwarzseidenen Kleid. Sie öffnete mir selbst die Tür und sagte in einem fast feierlichen Ton:
    »Treten Sie ein!«
    Louise war nicht im Salon. Es gab keine Schüssel mit Keksen, keine Erfrischungen. Man sah auch kein Feuer im Kamin brennen, denn inzwischen war es Frühling geworden. Weit und breit schien es nichts zu geben, woran man sich festhalten konnte, und ich stand mit dem Hut in der Hand und schämte mich meines Fracks, meiner Lackschuhe.
    »Und nun sagen Sie mir, junger Mann, was haben Sie eigentlich für Absichten?«
    Es muß einer der schlimmsten Augenblicke meines Lebens gewesen sein. Die Stimme klang trocken, vorwurfsvoll, jedenfalls in meinen Ohren. Ich wagte nicht aufzublicken und sah auf dem gemusterten Teppich nur den Saum eines schwarzen Kleides und darunter die Spitze eines sehr schmalen Schuhs. Mein Gesicht färbte sich rot.
    »Ich schwöre Ihnen …«, stotterte ich.
    »Ich

Weitere Kostenlose Bücher