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Maigret - 35 - Maigrets Memoiren

Maigret - 35 - Maigrets Memoiren

Titel: Maigret - 35 - Maigrets Memoiren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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verlange keine Schwüre. Ich frage Sie, ob Sie die Absicht haben, sie zu heiraten.«
    Daraufhin schaute ich sie endlich an, und ich glaube, ich habe nie so viel liebevollen Spott im Gesicht einer alten Frau gesehen.
    »Aber klar!«
    Es heißt – die Geschichte bekam ich später oft genug zu hören –, ich sei wie ein Springteufel aufgeschossen und hätte noch lauter gerufen:
    »Klar!«
    Und ein drittes Mal hätte ich geradezu gebrüllt:
    »Klar, das ist doch selbstverständlich!«
    Sie erhob nicht einmal die Stimme, als sie rief:
    »Louise!«
    Louise hatte hinter einer Tür gestanden, die nur angelehnt war. Jetzt kam sie herein, ganz linkisch und genauso purpurrot wie ich.
    »Was habe ich dir gesagt?« meinte die Tante.
    »Wieso?« fuhr ich dazwischen. »Glaubte sie es denn nicht?«
    »Ich war nicht ganz sicher. Tante Géraldine hat …«
    Nein, ich sage nichts weiter. Die eheliche Zensur würde diesen Abschnitt sowieso streichen.
    Der alte Léonard hat, ehrlich gesagt, weniger Freude bekundet und mir nie verziehen, daß ich nicht vom Straßen- und Brückenbau abstammte. Er saß, von seinen Gebrechen an den Lehnstuhl gefesselt, sehr alt, schon fast ein Hundertjähriger, und schaute mich immer nur kopfschüttelnd an, als stimmte fortan etwas nicht mehr mit dem Lauf der Welt.
    »Sie werden sich ein paar Tage Urlaub nehmen und nach Colmar fahren müssen. Wie wäre es mit den Osterferien?«
    Es war die alte Géraldine, die an die Eltern des Mädchens schrieb, und zwar gleich mehrmals hintereinander, um sie, wie sie sagte, auf den Schock vorzubereiten.
    In der Osterzeit bekam ich ganze achtundvierzig Stunden Urlaub. Den größten Teil davon verbrachte ich in der Bahn, denn diese fuhr damals noch nicht so schnell wie heute.
    Ich wurde korrekt, jedoch ohne große Begeisterung empfangen.
    »Das beste Mittel, um sicher zu sein, daß Sie beide ernste Absichten hegen, ist, einander eine Weile lang nicht zu sehen. Louise bleibt den Sommer über hier. Im Herbst besuchen Sie uns wieder.«
    »Darf ich ihr schreiben?«
    »Nur wenn Sie Maß halten. Zum Beispiel einmal wöchentlich.«
    Das kommt einem heute komisch vor. Damals war es ganz und gar nicht komisch.
    Ich hatte beschlossen, ohne jeden boshaften Hintergedanken, daß Jubert der Brautführer sein würde. Doch als ich ihn in der Apotheke am Boulevard Saint-Michel aufsuchen wollte, war er nicht mehr dort, und niemand wußte, was aus ihm geworden war.
    Einen Teil des Sommers habe ich mit der Suche nach einer Wohnung verbracht. Ich fand eine am Boulevard Richard-Lenoir.
    »Nur bis wir uns etwas besseres leisten können, weißt du. Wenn ich dann einmal Inspektor bin …«

5
Eine Kapitel, das etwas kunterbunt von Nagelsocken, Apachen, Dirnen, Warmluftschächten, Gehsteigen und Bahnhöfen handelt
    Vor ein paar Jahren war bei uns die Rede von der Gründung eines Klubs oder vielmehr von einem gemeinsamen Essen, das einmal im Monat stattfinden und sich das ›Dîner der Nagelsocken‹ nennen sollte. Wir haben uns jedenfalls zum Aperitif in der Brasserie Dauphine versammelt. Wir haben uns hin und her überlegt, wer außer uns noch zugelassen werden sollte und wer nicht. Und wir haben uns allen Ernstes gefragt, ob die vom andern Haus, will sagen von der Rue des Saussaies, auch dazugehörten.
    Wie nicht anders zu erwarten war, haben wir es dabei bewenden lassen. In jener Zeit gab es unter uns Kommissaren von der Kriminalpolizei noch mindestens vier, die sich auf den Spitznamen ›Nagelsocken‹ allerhand einbildeten. So hatten uns die Chansonsänger einst getauft, und so bezeichneten manchmal auch die jungen, kaum der Polizeischule entwachsenen Inspektoren uns ›Alte‹, die wir von der Pike auf gedient hatten.
    Tatsache ist, daß es früher Jahre dauerte, bis man seine Galons bekam, und mit der bestandenen Prüfung war es noch lange nicht getan. Ein Inspektor mußte sich erst die Schuhsohlen in so ziemlich allen Dienstzweigen abgelaufen haben, ehe er auf eine Beförderung hoffen durfte.
    Es ist nicht leicht, den neuen Generationen auch nur einigermaßen verständlich zu machen, was dies bedeutete.
    Wörter wie ›Nagelschuhe‹ und ›buschige Schnurrbärte‹ kamen einem ganz selbstverständlich über die Lippen, wenn man von der Polizei sprach.
    Und auch ich habe weiß Gott jahrelang Nagelschuhe getragen. Nicht weil es mir Spaß machte. Nicht weil wir – wie die Karikaturisten glauben machen wollten – Nagelschuhe als den Gipfel der Eleganz und der Bequemlichkeit betrachteten,

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