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Maigret - 35 - Maigrets Memoiren

Maigret - 35 - Maigrets Memoiren

Titel: Maigret - 35 - Maigrets Memoiren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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daß die meisten Inspektoren den gezeichneten Witzfiguren insofern glichen, als sie einen dicken, pechschwarzen Schnurrbart zur Schau trugen. Das hängt damit zusammen, daß unser Beruf während längerer Zeit und aus unerfindlichen Gründen hauptsächlich Leute aus dem Zentralmassiv angezogen hat.
    Es gibt in Paris wenige Straßen, in denen ich mir als stets wachsames Auge des Gesetzes nicht die Sohlen abgelaufen und dabei das ganze Straßenvölkchen kennengelernt hätte, vom Berufsbettler, dem Drehorgelmann, der Blumenverkäuferin bis zum Hasardspieler und Taschendieb, nicht zu vergessen die Hure und die alte Säuferin, die ihre Nächte zum größten Teil auf der Polizeiwache verbringt.
    Ich habe die Hallen ›gemacht‹, nachts, die Place Maubert, die Quais und die Plätze unterhalb der Quais.
    Ich habe auch die Massenansammlungen ›gemacht‹, diesen mühsamsten aller Hüterdienste, die ›Foire du Trône‹ und den Jahrmarkt in Neuilly, die Rennen in Longchamp und die patriotischen Kundgebungen, die Militärparaden, die Staatsbesuche, die Karossenumzüge, die Wanderzirkusse, den Flohmarkt.
    Nach Monaten, Jahren in diesem Beruf hat man eine beachtliche Sammlung von Gestalten und Gesichtern im Kopf, die sich dort für immer eingeprägt haben.
    Gern würde ich unsere Beziehungen zu dieser ›Kundschaft‹, auch zu den Individuen, die wir in regelmäßigen Abständen einbuchten, genauer beschreiben; doch das wird schwierig sein.
    Ich brauche wohl nicht zu betonen, daß wir das Pittoreske an unserem Beruf schon bald nicht mehr sehen. Wenn wir auf den Straßen von Paris etwas beobachten, so beobachten wir es zwangsläufig als Fachleute; unser Blick verweilt auf dieser oder jener vertrauten Einzelheit, registriert diese oder jene Besonderheit und läßt uns die entsprechenden Schlüsse ziehen.
    Was ich jetzt, da ich dieses Thema behandle, bemerkenswert finde, ist das Band, das sich zwischen dem Polizisten und dem von ihm gehetzten Wild anknüpft. Vom Polizisten aus gesehen ist es, außer in ganz seltenen Fällen, völlig frei von Haß oder auch nur von Zorn.
    Auch frei von Mitleid oder zumindest dem, was man in der Regel darunter versteht.
    Unsere Beziehungen sind sozusagen strikt beruflich.
    Wir sehen, wie man sich unschwer vorstellen kann, zuviel, um uns über gewisse Formen des Elends oder gewisse Perversionen überhaupt noch wundern zu können. Deshalb empfinden wir keine Entrüstung über die einen noch auch die Beklemmung des ahnungslosen Passanten vor den anderen.
    Was wir indessen empfinden und was Simenon auszudrücken versucht hat, ohne daß es ihm gelungen wäre, das ist ein gewisses Gefühl der Zusammengehörigkeit, so paradox dies auch scheinen mag.
    Man unterstelle mir nicht etwas, das ich nicht sage. Wir stehen diesseits und jenseits der Schranke, das steht fest. Aber wir sitzen auch bis zu einem gewissen Grad im gleichen Boot.
    Die Hure vom Boulevard de Clichy und der Inspektor, der sie überwacht, haben beide zerrissene Schuhe an, und beiden tun die Füße weh von all den Asphaltkilometern. Sie müssen den gleichen Regen, den gleichen eisigen Nordwind über sich ergehen lassen. Der Abend, die Nacht haben für sie die gleiche Farbe, und beide sehen fast mit den gleichen Augen die Kehrseite der an ihnen vorbeidrängenden Massen. Ebenso verhält es sich mit dem Jahrmarkt und dem Taschendieb, der sich durch diese gleiche Masse schlängelt. Jahrmarkt bedeutet für ihn nicht soundso viele Hunderte von Menschen auf einem Rummelplatz, nicht Vergnügen, Holzpferde, Schaubuden und Lebkuchen, sondern eine bestimmte Anzahl Geldbeutel in den Taschen von Naiven.
    Für den Polizisten auch. Und dieser wie jener erkennt auf den ersten Blick, welcher unter den selbstzufriedenen Provinzlern das ideale Opfer abgeben wird.
    Wie oft bin ich stundenlang einem notorischen Taschendieb gefolgt. Dem ›Schnapper‹ zum Beispiel. Er wußte, daß ich ihm auf den Fersen war und auf jede seiner Bewegungen achtete. Er wußte, daß ich über ihn Bescheid wußte. Und ich wußte, daß er wußte, daß ich da war.
    Es gehörte zu seinem Metier, daß er sich trotzdem eine Brieftasche oder eine Uhr aneignete, und es gehörte zu meinem Beruf, daß ich ihn daran hinderte oder auf frischer Tat ertappte.
    Da konnte es bisweilen passieren, daß der ›Schnapper‹ sich umwandte und mir zulächelte. Und ich lächelte zurück. Manchmal sprach er mich sogar an, seufzte:
    »Das wird ein zäher Job!«
    Ich wußte, er war total abgebrannt und wenn er

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