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Maigret - 35 - Maigrets Memoiren

Maigret - 35 - Maigrets Memoiren

Titel: Maigret - 35 - Maigrets Memoiren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Waffe gekauft hatte.
    Lagrume konnte den jungen Mann ziemlich genau beschreiben. Er wurde verhaftet und im Jahr darauf hingerichtet.
    Lagrume selbst ist mitten auf der Straße gestorben, nicht an Bronchitis, sondern an einem Herzschlag.
     
    Ehe ich von den Bahnhöfen spreche, insbesondere von der Gare du Nord, mit der ich immer eine alte Rechnung begleichen zu müssen glaube, möchte ich kurz ein mir nicht sehr sympathisches Thema streifen.
    Im Gespräch über meine Anfänge und meine verschiedenen Arbeitsgebiete bin ich schon oft gefragt worden:
    »Haben Sie auch bei der Sittenpolizei gedient?«
    Man nennt sie heute nicht mehr so. Man sagt verschämt ›Brigade Mondaine‹.
    Ich habe ihr angehört, klar, wie fast alle meine Kollegen. Nur vorübergehend. Kaum ein paar Monate.
    Und mag mir heute auch bewußt sein, daß es für mich notwendig war, so bewahre ich doch eine konfuse und zugleich unangenehme Erinnerung an jene Zeit.
    Ich habe gesagt, daß sich zwischen den Polizeibeamten und denen, die sie zu überwachen haben, allmählich wie von selbst eine vertrauliche Beziehung entwickelt.
    Das gilt für den bewußten Bereich wie für jeden andern. Noch mehr als für jeden andern. Denn die Kundschaft jedes Inspektors, wenn ich mich so ausdrücken darf, besteht aus einer verhältnismäßig beschränkten Anzahl Frauen, die man fast immer am gleichen Ort antrifft, vor dem gleichen Hoteleingang oder unter der gleichen Straßenlaterne oder, eine Stufe höher, auf den gleichen Brasserie-Terrassen.
    Damals besaß ich noch nicht die stattliche Figur, die ich mir im Lauf der späteren Jahre zulegte, und man sagte mir, ich sähe jünger aus, als ich sei.
    Und wer an die Kekse vom Boulevard Beaumarchais denkt, der wird sich vorstellen können, wie schüchtern ich in einer bestimmten Hinsicht war.
    Die meisten Beamten der Sittenpolizei standen mit den Mädchen auf du und du, sie nannten sie bei ihren Vor- oder Spitznamen, und wenn sie sie nach einer Razzia in den ›Salatkorb‹ verfrachteten, so wollte es die Tradition, daß man sich als Maulheld aufspielte und sich gegenseitig unter Gelächter die wüstesten, obszönsten Schimpfwörter an den Kopf schmiß.
    Die Damen pflegten auch ihre Röcke zu heben und ihr Hinterteil zu zeigen, eine Gebärde, die sie zweifellos für die schlimmste aller Beleidigungen hielten und mit entsprechend herausfordernden Worten begleiteten.
    Ich bin wohl oft rot geworden in der ersten Zeit, denn ich errötete noch leicht. Meine Hemmungen blieben nicht unbemerkt. Das Mindeste, was man von diesen Frauen sagen kann, ist, daß sie sich mit den Männern auskennen.
    Sie haben mich von Anfang an, wenn nicht gehaßt, so doch als Prügelknaben behandelt.
    Am Quai des Orfèvres hat man mich nie beim Vornamen genannt, und ich bin überzeugt, daß viele Kollegen ihn nicht einmal wissen … Ich selber hätte mir den Namen nicht ausgesucht, wenn ich gefragt worden wäre, aber zu schämen brauche ich mich seiner nun auch wieder nicht.
    Könnte es der kleine Racheakt eines Inspektors gewesen sein, der zufällig Bescheid wußte?
    Ich war im Sébastopol-Quartier eingesetzt worden, wo sich hauptsächlich in der Gegend der Markthallen die billigen Dirnen herumtrieben, darunter insbesondere eine gewisse Anzahl sehr alter Prostituierter, die dort so etwas wie eine Zuflucht fanden.
    Auch die kleinen, frisch aus der Bretagne oder anderen Landstrichen angereisten Dienstmädchen verdienten sich hier die ersten Sporen, so daß man es mit beiden Extremen zu tun hatte: mit Sechzehnjährigen, um die die Zuhälter sich balgten, und mit alterslosen Hexen, die sich sehr wohl zu wehren wußten.
    Eines Tages begann die Nervensäge – denn eine Nervensäge wurde es auf Anhieb. Ich ging an einem der alten, am Eingang eines schmierigen Hotels aufgepflanzten Weiber vorüber und hörte plötzlich, wie sie mir zurief, indem sie lächelnd ihre schadhaften Zähne entblößte:
    »’n Abend, Jules!«
    Erst dachte ich, sie hätte den Namen auf gut Glück hinaustrompetet, doch einige Schritte weiter wurde ich auf die gleiche Weise begrüßt:
    »Na, Jules, wie wär’s?«
    So ging es weiter. Wo immer sie in Grüppchen beisammen standen, brachen sie in Gelächter aus und ergingen sich in Bemerkungen, die ich hier lieber nicht wiedergebe.
    Ich weiß, was andere an meiner Stelle getan hätten. Sie hätten einige dieser Damen kurzerhand aufgegriffen und ins Saint-Lazare-Gefängnis verfrachtet, wo sie in Ruhe nachdenken konnten.
    Das Exempel hätte

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