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Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer

Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer

Titel: Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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zurückfallen, und aus seinem verzerrten Gesicht sprach ein furchtbarer Schmerz.
    »Das wissen Sie ja«, röchelte er.
    »Ja, der Vater von Jean-Marie. Der Fischdampfer lag am Kai. Nur der Kapitän und Adèle waren noch an Bord. Er wollte sie vom Schiff bringen. Und dann …«
    »Schweigen Sie!«
    »Dann haben Sie diesem Mann, der sich das Schiff ansehen wollte, auf dem sein Sohn umgekommen war, gesagt, sein Sohn wäre ermordet worden … War es nicht so? … Und Sie sind ihm gefolgt. Sie haben sich hinter einem Güterwagen versteckt, als er auf den Kapitän zuging …«
    »Schweigen Sie!«
    »Das Verbrechen wurde vor Ihren Augen begangen.«
    »Ich flehe Sie an …«
    »Nein! Sie waren dabei. Sie gingen dann an Bord, holten diese Frau heraus!«
    »Ich wollte sie schon nicht mehr!«
    Draußen ertönte eine laute Sirene. Le Clinches Lippen zitterten, als er stammelte:
    »Die ›Océan‹.«
    »Ja, sie fährt mit der Flut aus.«
    Sie schwiegen. Man hörte alle Geräusche des Krankenhauses, darunter auch das sehr leise Rollen eines Bettes, das man in den Operationssaal schob.
    »Ich wollte sie nicht mehr«, stieß der Funker noch einmal krampfhaft hervor. »Aber es war zu spät.«
    Wieder eine Pause.
    »Und doch … jetzt … ich würde so gerne …«
    Er wagte das Wort, das ihm auf der Zunge lag, nicht auszusprechen.
    »Leben?«
    Und Le Clinche antwortete:
    »Verstehen Sie denn nicht? Ich war verrückt! Ich verstehe mich selbst nicht. Ich war woanders, in einer anderen Welt. Wir kamen hierher zurück, und da erst wurde es mir bewußt. So ist es. Dort war diese dunkle Kabine, um die man herumschlich. Und es existierte nichts anderes mehr. Es schien mir mein ganzes Leben zu bedeuten. Ich wollte nur noch mein großer Junge hören … Ich könnte nicht einmal sagen, wie es vor sich gegangen ist. Ich habe die Tür geöffnet. Sie ging hinaus. Ein Mann in gelben Schuhen erwartete sie, und sie warfen sich einander auf dem Kai in die Arme.
    Da erwachte ich. Besser kann ich es nicht ausdrücken. Und seither möchte ich nicht mehr sterben … Marie Léonnec kam mit Ihnen, auch Adèle kam, in Begleitung dieses Mannes …
    Aber was soll ich Ihnen noch sagen? Es ist zu spät, nicht wahr? Man ließ mich frei. Ich holte auf dem Schiff einen Revolver. Marie wartete am Kai auf mich. Sie wußte es nicht.
    Und nachmittags das Gerede dieser Frau. Und der Mann mit den gelben Schuhen. Wer kann das alles schon verstehen? Ich drückte ab. Ich brauchte lange, bis ich den Entschluß faßte … , weil Marie da war. Jetzt …«
    Er schluchzte. Und er schrie buchstäblich:
    »Ich werde trotzdem sterben müssen! Und ich will nicht sterben! Ich habe Angst davor! Ich … Ich …«
    Er zitterte und zuckte so am ganzen Körper, daß Maigret eine Krankenschwester rief. Diese beruhigte ihn mit sanften, wissenden Gesten, wie sie es in langen Berufsjahren gelernt hatte.
    Zum zweitenmal gab der Fischdampfer sein durchdringendes Signal, und die Frauen liefen auf der Mole zusammen.
    11.
    Die Abfahrt der »Océan«
    Maigret erreichte gerade den Kai, als der neue Kapitän den Befehl gab, die Trossen zu lösen. Er sah, wie sich der Chefmaschinist von seiner Frau verabschiedete, ging zu ihm und nahm ihn beiseite.
    »Ich möchte nur eine Auskunft: Sie waren es doch, nicht wahr, der das Testament des Kapitäns gefunden und in den Briefkasten geworfen hat?«
    Der andere zögerte verwirrt.
    »Sie haben nichts zu befürchten. Sie hatten Le Clinche in Verdacht. Sie glaubten, ihn dadurch retten zu können. Obwohl Sie beide hinter derselben Frau her waren …«
    Mit einem ohrenbetäubenden Lärm rief die Sirene die Nachzügler, und die Männer und Frauen auf dem Kai lösten sich aus ihren Umarmungen.
    »Bitte lassen Sie mich damit in Ruhe, ja? Stimmt es, daß er sterben wird?«
    »Es besteht Hoffnung, ihn zu retten. Wo war das Testament?«
    »Unter den Papieren des Kapitäns.«
    »Und was suchten Sie dort?«
    »Ich hoffte, ein Foto zu finden«, gab der andere zu und senkte den Kopf. »Gestatten Sie? Ich muß …«
    Die Trossen fielen ins Wasser, man machte sich daran, den Steg einzuziehen. Der Chefmaschinist sprang an Bord, winkte seiner Frau zu und warf einen letzten Blick auf Maigret.
    Langsam glitt der Fischdampfer der Hafenausfahrt zu. Ein Mann trug den kaum fünfzehnjährigen Schiffsjungen auf seinen Schultern. Der Junge hatte ihm die Pfeife weggenommen und sie stolz in den Mund gesteckt.
    Die Frauen am Kai weinten.
    Wenn man sich beeilte, konnte man mit dem Schiff

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