Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer
dem Zustand der Netze, die sie zurückgebracht haben, will ich gar nicht erst sprechen. Netze, die zwei Millionen gekostet haben, verstehen Sie? Zerrissen, als hätten sie sich einen Spaß daraus gemacht, Felsbrocken damit zu fischen. Und die Besatzung, die zu allem Überfluß auch noch vom böse n B lick spricht! … He dort! … Was tut ihr da? … Aber, in Teufelsnamen! Habe ich denn nicht gesagt, daß ihr erst diesen Waggon beladen sollt?«
Und er lief an dem Schiff entlang und schimpfte mit allen.
Maigret schaute noch eine Weile beim Entladen zu. Ein paar Fischer in rosa Matrosenblusen gingen auf die Mole zu, und er schloß sich ihnen an.
Nach ein paar Schritten vernahm er hinter sich eine Stimme:
»Pst! Pst! He! Herr Kommissar!«
Es war Léon, der Wirt des Rendez-vous des Terre-Neuvas, der seine kurzen Beine so schnell wie möglich bewegte, um den Kommissar einzuholen.
»Kommen Sie, trinken Sie ein Glas bei mir!«
Er setzte ein geheimnisvolles, vielversprechendes Gesicht auf. Unterwegs erklärte er:
»Es wird ruhiger. Diejenigen, die nicht nach Hause in die Bretagne oder in ihre Dörfer gefahren sind, haben fast ihr ganzes Geld ausgegeben. Heute morgen waren nur ein paar Makrelenfischer bei mir.«
Sie überquerten den Kai und betraten das Café, das bis auf die Kellnerin, die die Tische abputzte, leer war.
»Warten Sie. Was wollen Sie trinken? Einen kleinen Aperitif? … Es ist ja bald Zeit dafür. Aber, wie ich Ihnen gestern schon gesagt habe: Ich dränge sie nicht zum Trinken. Im Gegenteil! Vor allen Dingen, weil sie mir, wenn sie betrunken sind, mehr kaputtschlagen als sie mir einbringen … Julie, geh mal in die Küche und schau nach, ob ich dort bin …«
Er zwinkerte dem Kommissar vertraulich zu.
»Auf Ihr Wohl! Ich hab Sie von weitem gesehen, und da ich Ihnen etwas zu sagen habe …«
Er stand auf und vergewisserte sich, daß das Mädchen nicht hinter der Tür lauschte.
Dann, er tat immer geheimnisvoller und war ganz von sich begeistert, zog er etwas aus seiner Tasche: ein Stück Pappe in der Größe eines Fotos.
»Da! Was sagen Sie dazu?«
Es war tatsächlich eine Fotografie. Das Bild einer Frau.
Aber der Kopf war mit roter Tinte völlig unkenntlich gemacht. Jemand war wütend darangegangen, diesen Kopf verschwinden zu lassen. Die Feder hatte das Papier zerkratzt. Kreuz und quer liefen die Striche und ließen auch nicht einen Quadratmillimeter mehr erkennen.
Der Rest des Oberkörpers dagegen war unbeschädigt. Ein recht üppiger Busen, ein stark dekolletiertes, enganliegendes Kleid aus heller Seide.
»Wo haben Sie das gefunden?«
Wieder ein vertrauliches Augenzwinkern.
»Unter uns kann ich es ja sagen … Das Schloß von Le Clinches Koffer schließt schlecht, und er hat es sich darum angewöhnt, die Briefe seiner Braut unter der Tischdecke aufzubewahren.«
»Und Sie haben sie gelesen?«
»Sie interessierten mich nicht. Es war Zufall. Als das Zimmer durchsucht wurde, hat man nicht daran gedacht, unter der Tischdecke nachzusehen. Das ist mir gestern abend eingefallen, und dies hier habe ich gefunden. Natürlich, den Kopf sieht man nicht mehr. Aber seine Braut ist es nicht, denn die ist nicht so wohlgeformt. Ich habe mal ein Bild von ihr gesehen. Also gibt es da irgendwo noch eine andere Frau.«
Maigret betrachtete das Foto genau. Die Schultern waren schön geschwungen. Die Frau mußte älter als Marie Léonnec sein. Etwas sehr Sinnliches ging von ihr aus. Auch etwas Vulgäres. Das Kleid sah nach Konfektion aus. Sie wirkte auf billige Art kokett.
»Haben Sie rote Tinte im Haus?«
»Nein, nur grüne.«
»Le Clinche benutzte nie rote Tinte?«
»Nie. Er hatte einen Füllfederhalter und seine eigene Tinte. Eine Spezialtinte, schwarzblau.«
Maigret erhob sich und ging zur Tür.
»Sie gestatten?«
Bald darauf befand er sich an Bord der »Océan«, durchsuchte erst die Kabine des Funkers, dann die des Kapitäns, die schmutzig und unaufgeräumt war.
Es gab keine rote Tinte auf dem Schiff. Die Fischer hatten nie welche gesehen.
Als Maigret den Fischdampfer wieder verließ, fing er einen verächtlichen Blick des Reeders ein, der immer noch seine Leute beschimpfte.
»Wird in Ihren Büros rote Tinte benutzt?«
»Rote Tinte? Was sollten wir damit? Wir sind keine Schule!«
Doch dann, als erinnerte er sich plötzlich an etwas:
»Nur Fallut schrieb mit roter Tinte, wenn er zu Hause war in der Rue d’Etretat … Was ist denn nun wieder los? … He dort! Vorsicht bei dem Waggon! Ein
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