Maigret kämpft um den Kopf eines Mannes
anderer Onkel ist Milliardär. Ein Vetter sitzt im Aufsichtsrat der größten amerikanischen Bank. Aber sein eigener Vater hat vor zehn Jahren sein ganzes Vermögen verloren, verstehen Sie? … Kurz und gut, er war der arme Verwandte.
Zu allem Übel haben alle seine Onkel und Tanten eigene Kinder, mit Ausnahme der Hendersons …
So hat er denn nur noch darauf gewartet, daß der Alte und nach ihm auch Madame Henderson das Zeitliche segnen. Sie waren beide um die Siebzig …
Verzeihung, sagten Sie etwas? –«
»Nein!«
Maigrets Schweigen brachte den Tschechen spürbar aus der Fassung.
»Sie wissen so gut wie ich, daß man in Paris sehr wohl ohne Geld leben kann, sofern man einen einigermaßen berühmten Namen trägt … Abgesehen davon, war Crosby ein reizender Junge. Er hat nie gearbeitet, müssen Sie wissen. Er schäumte über vor Lebenslust … Wie ein großes Kind, das sich an den guten Dingen dieses Lebens freut und sie alle genießen will.
Insbesondere die Frauen! Es hatte nichts Böswilliges! Sie haben Madame Crosby gesehen … Er liebte sie sehr.
Aber trotzdem … Glücklicherweise gibt es unter den Eingeweihten in solchen Fällen so etwas wie eine Verschwörung. Ich hab mit eigenen Augen gesehen, wie sie zusammen im ›Coupole‹ ihren Aperitif tranken und wie eine junge Frau, die in der Nähe saß, William ein Zeichen gab, worauf dieser aufstand und sagte: ›Du entschuldigst mich? Ich hab noch eine Kleinigkeit zu besorgen …‹ Und jeder wußte, daß er die nächste halbe Stunde im erstbesten Hotel an der Rue Delambre verbringen würde.
Nicht nur einmal! Hundertmal! … Natürlich war auch Edna Reichberg seine Mätresse. Dabei saß sie die ganze Zeit mit Madame Crosby zusammen, war furchtbar nett mit ihr und alles … Und so gab es noch eine Menge! Er konnte nie nein sagen. Ich glaube, er liebte sie alle …«
Maigret gähnte, reckte sich.
»Es gab Tage, da wußte er nicht einmal, wie er sein Taxi bezahlen sollte, und gleichzeitig spendierte er eine Runde Cocktails für fünfzehn Leute, die er kaum kannte … Und wie er lachen konnte! Ich habe ihn nie anders als sorglos gesehen … Sie müssen sich Crosby als einen Menschen vorstellen, dem die Lebensfreude schon in die Wiege gelegt worden ist, einen, den jedermann gern hat und der selber alle Menschen mag, dem man alles verzeiht, sogar Dinge, die man keinem andern verzeihen würde! Einer, dem einfach alles gelingt! … Sie sind kein Spieler? … Dann wissen Sie nicht, was es heißt, wenn Ihr Partner eine Sieben zieht, und Sie drehen Ihre Karte um und haben eine Acht? … Das nächste Mal zieht er eine Acht und Sie eine Neun. Jedesmal! Wie in einem Traum, wie jenseits aller armseligen Realität.
Das war Crosby …
Als er seine fünfzehn oder sechzehn Millionen erbte, war es immer noch eine zuwenig, denn meines Wissens hatte er die Unterschrift einiger berühmter Mitglieder seiner Familie gefälscht, um seine Schulden zu bezahlen …«
»Er hat sich umgebracht«, bemerkte Maigret trocken.
Der Tscheche antwortete mit einem lautlosen, undefinierbaren Lachen. Er stand auf, warf seinen Zigarettenstummel in den Ofen, kehrte an seinen Platz zurück.
»Er hat sich erst gestern umgebracht«, erwiderte er vieldeutig.
»Hören Sie, Radek …«
Maigrets Stimme klang plötzlich hart. Der Kommissar war aufgestanden, musterte Radek von oben bis unten.
Eine fast beängstigende Stille trat ein. Nach einer Weile fuhr Maigret fort:
»Was zum Teufel haben Sie eigentlich hier zu suchen?«
»Ich wollte mit Ihnen plaudern … Oder, wenn Sie das lieber hören, Ihnen einen Gefallen erweisen … Geben Sie zu, es hätte Sie eine Menge Zeit gekostet, wenn Sie sich die Auskünfte, die ich Ihnen über Crosby gegeben habe, selber hätten beschaffen müssen … Brauchen Sie noch weitere, ebenfalls authentische Informationen?
Die kleine Reichberg haben Sie ja gesehen. Sie ist zwanzig. Außerdem ist sie ein Jahr Williams Geliebte gewesen, hat ihre Zeit mit Madame Crosby verbracht, ihr schöngetan, sie angehimmelt. Dabei war es zwischen ihr und ihrem Geliebten längst beschlossene Sache, daß Crosby sich scheiden lassen und sie heiraten würde …
Aber eben, um die Tochter des reichen Industriellen Reichberg heiraten zu können, brauchte William Geld, viel Geld …
Wollen Sie noch mehr hören? … Von Bob zum Beispiel, dem Chefbarmann im Coupole? … Sie haben ihn in seinem weißen Jackett gesehen, eine Serviette in der Hand. Was Sie nicht wissen, ist, daß er
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