Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret und das Schattenspiel

Maigret und das Schattenspiel

Titel: Maigret und das Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
umher. Um seine Verwirrung zu überspielen, zählte er die Tropfen einer Arznei, die er einen nach dem anderen in ein Glas fallen ließ.
    »Der Arzt hat gesagt …«
    »Der Arzt interessiert mich nicht!«
    »Aber du mußt doch … Hier! Trink das langsam. Das kann nicht schaden …«
    Sie sah ihn an, blickte dann zu Maigret hinüber, zuckte schließlich resigniert mit den Schultern und trank.
    »Sind Sie wirklich nur gekommen, um sich nach mir zu erkundigen?« fragte sie mißtrauisch.
    »Ich war auf dem Weg zum Laboratorium, als die Concierge mir sagte …«
    »Haben Sie schon etwas herausbekommen?«
    »Noch nicht …«
    Sie schloß die Augen, um zu zeigen, daß sie müde war. Martin blickte Maigret an, der sich erhob.
    »Nun, ich wünsche Ihnen eine rasche Besserung … Es geht Ihnen schon besser …«
    Sie ließ ihn hinausgehen. Maigret hinderte Martin daran, ihn hinauszubegleiten.
    »Bleiben Sie bei ihr, ich bitte Sie.«
    Armer Kerl! Als ob er Angst gehabt hätte zu bleiben und sich an den Kommissar klammerte, weil es weniger schrecklich war, solange ein Dritter zugegen war.
    »Sie werden sehen, das geht bald vorüber …«
    Als er durch das Eßzimmer ging, hörte er ein Schlurfen im Hausflur. Und er hatte die alte Mathilde gerade noch eingeholt, als sie in ihrem Zimmer verschwinden wollte.
    »Guten Tag, Madame …«
    Sie sah ihn verängstigt an, ohne zu antworten, die Hand auf dem Türknauf.
    Maigret sprach leise. Er nahm an, daß Madame Martin die Ohren gespitzt haben könnte, denn er traute ihr zu, daß sie aufstand, um ihrerseits an der Tür zu horchen.
    »Wie Sie wahrscheinlich wissen, bin ich der Kommissar, der mit der Untersuchung beauftragt ist …«
    Er ahnte bereits, daß er aus dieser Alten mit ihrem sanften Mondgesicht nichts herausbekommen würde.
    »Was wollen Sie von mir?«
    »Sie nur fragen, ob Sie mir nichts zu sagen haben … Wohnen Sie schon lange hier im Haus?«
    »Seit vierzig Jahren!« erwiderte sie trocken.
    »Sie kennen alle Leute hier?«
    »Ich spreche mit niemandem!«
    »Ich dachte, Sie könnten vielleicht etwas gesehen oder gehört haben … Manchmal genügt ein ganz kleiner Anhaltspunkt, um die Justiz auf die richtige Fährte zu lenken …«
    Im Inneren der Wohnung bewegte sich jemand. Aber die Alte hielt die Tür hartnäckig geschlossen.
    »Sie haben nichts gesehen?«
    Sie antwortete nicht.
    »Und Sie haben nichts gehört?«
    »Sie sollten lieber dem Vermieter sagen, daß er mir einen Gasanschluß legen soll …«
    »Einen Gasanschluß?«
    »Alle haben Gas hier im Haus. Nur bei mir stellt er sich stur, weil er meine Miete nicht erhöhen kann … Hinauswerfen würde er mich, wenn er es könnte! Er hat alles mögliche versucht, mich hinauszuekeln … Aber er wird dieses Haus vor mir verlassen, mit den Füßen voran! Das können Sie ihm von mir bestellen …«
    Sie öffnete die Tür ein bißchen, so wenig, daß Maigret es nicht für möglich gehalten hätte, daß diese schwere Frau sich hindurchzwängen konnte. Dann schloß die Tür sich wieder, und man hörte nur noch gedämpfte Geräusche aus dem Zimmer.
     
    »Darf ich um Ihre Karte bitten?«
    Der Diener in der gestreiften Weste nahm die Karte, die Maigret ihm reichte, und verschwand in der Wohnung, die ungewöhnlich hell wirkte, dank der fünf Meter hohen Fenster, wie man sie fast nur noch an der Place des Vosges und auf der Ile Saint-Louis findet.
    Die Zimmer waren riesig. Irgendwo brummte ein Staubsauger. Eine Kinderfrau in einer weißen Bluse und mit einem hübschen blauen Häubchen auf dem Kopf huschte von einem Zimmer in ein anderes und warf dem Besucher einen neugierigen Blick zu.
    Eine Stimme, ganz nah.
    »Bitten Sie den Kommissar herein …«
    Monsieur de Saint-Marc saß in seinem Arbeitszimmer, im Morgenrock, und sein graues Haar war sorgfältig glattgestrichen. Er ging zuerst eine Tür schließen, durch die Maigret noch ein Louis- xv -Bett und das Gesicht einer jungen Frau auf dem Kopfkissen hatte erkennen können.
    »Bitte nehmen Sie doch Platz … Sie wollen mich gewiß wegen dieser scheußlichen Angelegenheit Couchet sprechen …«
    Trotz seines Alters strahlte er Energie und Gesundheit aus. Und die Atmosphäre des Appartements war die eines glücklichen Hauses, in dem alles hell und freundlich ist.
    »Diese Tragödie hat mich um so mehr berührt, als sie sich zu einem Zeitpunkt ereignete, der sehr viel für mich bedeutete …«
    »Ich weiß …«
    Ein kurzes, stolzes Aufleuchten in den Augen des ehemaligen Botschafters.

Weitere Kostenlose Bücher