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Maigret und das Schattenspiel

Maigret und das Schattenspiel

Titel: Maigret und das Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Schuldigen zu finden, so würden Sie sich verpflichtet fühlen, es mir zu sagen …«
    Fing er nicht sogar an, mit den Zähnen zu klappern?
    »Gewiß würde ich es Ihnen sagen … Aber ich weiß nichts … Und ich wüßte selbst gern, wer es war … Das ist kein Leben mehr …«
    »Was halten Sie von Ihrem Stiefsohn?«
    Martin sah Maigret erstaunt an.
    »Roger? Er …«
    »Er ist ein hoffnungsloser Fall, stimmt’s?«
    »Aber er ist nicht schlecht, das schwöre ich Ihnen! Daran ist allein sein Vater schuld! Wie meine Frau immer sagt: Man soll jungen Leuten nicht so viel Geld in die Hand geben … Sie hat recht! Und ich bin genau wie sie überzeugt davon, daß Couchet das nicht aus Güte getan hat oder aus Liebe zu seinem Sohn, der war ihm nämlich gleichgültig. Nein, er gab ihm Geld, um ihn loszuwerden, und um sein Gewissen zu beruhigen …«
    »Sein Gewissen?«
    Martin errötete und wurde noch verlegener.
    »Er hat Juliette schließlich genug Unrecht angetan, oder?« sagte er leise.
    »Juliette?«
    »Meiner Frau … Seiner ersten Frau … Was hat er schon für sie getan? Nichts! Wie ein Dienstmädchen hat er sie behandelt … Und dabei war sie es doch, die ihm in schwierigen Zeiten beigestanden hat … Und später …«
    »… hat er ihr nichts abgegeben, gewiß. Aber da war sie schon wieder verheiratet.«
    Martins Gesicht war purpurrot geworden. Maigret sah ihn erstaunt, ja mitleidig an. Denn er verstand, daß der gute Mann mit diesen verblüffenden Thesen nichts zu tun hatte. Er wiederholte lediglich, was er von seiner Frau hundertfach gehört haben mußte.
    Couchet war reich! Und sie war arm! Folglich …
    Plötzlich horchte Martin auf.
    »Haben Sie nichts gehört?«
    Beide waren einen Moment still. Aus dem Nebenzimmer hörte man es leise rufen. Martin ging zur Tür und öffnete sie.
    »Was erzählst du ihm da?« fragte Madame Martin.
    »Aber … Ich …«
    »Das ist doch der Kommissar, nicht wahr? Was will er denn noch?«
    Maigret konnte sie nicht sehen. Die Stimme war die einer Kranken, die sehr leise sprach, aber ihre Kaltblütigkeit nicht verloren hatte.
    »Der Kommissar wollte sich nur erkundigen, wie es dir geht …«
    »Sag ihm, er soll hereinkommen! Warte! Gib mir ein feuchtes Handtuch und den Spiegel. Und den Kamm …«
    »Du wirst dich wieder aufregen …«
    »So halt doch wenigstens den Spiegel gerade! … Nein, laß! Gib schon her. Du bist ja nicht einmal in der Lage … Und stell diese Schüssel beiseite! O diese Männer … Kaum ist die Frau nicht da, sieht die Wohnung aus wie ein Schweinestall … Laß ihn jetzt hereinkommen.«
    Das Zimmer war wie der Eßraum, muffig und trist, schlecht möbliert, überladen mit alten Vorhängen, alten Stoffen und verblaßten Teppichen. Schon in der Tür fühlte Maigret den Blick Madame Martins auf sich gerichtet, ruhig und außergewöhnlich klar.
    Auf dem abgespannten Gesicht sah er das gekünstelte Lächeln einer Kranken auftauchen.
    »Schauen Sie nicht hin«, sagte sie, »hier ist alles in fürchterlicher Unordnung. Alles wegen dieses Anfalls …«
    Und sie blickte traurig vor sich hin.
    »Aber es geht mir schon besser … Bis morgen muß ich wieder gesund sein, für die Beerdigung … Die ist doch morgen?«
    »Ja, morgen früh. Haben Sie diese Anfälle …«
    »Ich hatte sie schon als kleines Kind. Aber meine Schwester …«
    »Sie haben eine Schwester?«
    »Ich hatte zwei … Aber ziehen Sie keine voreiligen Schlüsse! Die jüngste hatte ebenfalls solche Anfälle. Sie hatte geheiratet. Ihr Mann war ein Taugenichts, und eines schönen Tages hat er einen dieser Anfälle ausgenutzt, um sie in eine Anstalt zu bringen. Eine Woche später ist sie gestorben …«
    »Reg dich nicht auf!« flehte Martin, der nicht wußte, wo er bleiben und wo er hinsehen sollte.
    »Geisteskrank?« fragte Maigret.
    Und die Züge der Frau wurden wieder hart, ihre Stimme gehässig.
    »Ihr Mann wollte sie nur loswerden! Weniger als sechs Monate später heiratete er eine andere … Und alle Männer sind gleich. Man opfert sich für sie auf, schuftet sich zu Tode für sie …«
    »Ich bitte dich!« stöhnte ihr Mann.
    »Ich spreche nicht von dir! Obwohl du auch nicht besser bist als die anderen …«
    Und Maigret fühlte unvermittelt eine Woge des Hasses. Ein kurzes, verwirrendes Gefühl. Aber er war sicher, daß er sich nicht täuschte.
    »Und wenn ich nicht dagewesen wäre …« fuhr sie fort.
    Hatte ihre Stimme nicht einen drohenden Unterton bekommen? Der Mann blickte ziellos im Raum

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