Maigret und das Verbrechen in Holland
alltäglichen Dinge.«
»Und ich schere mich beispielsweise auch nicht darum zu erfahren, ob man den Schuldigen überhaupt fi n den will!«
Duclos wurde lebhaft.
»Und warum nicht? Es handelt sich nicht um Rau b mord. Also ist der Täter kein professioneller Mörder oder Dieb. Er ist nicht unbedingt ein Mensch, den man zum Schutz der Gesellschaft einsperren muß …«
»Und in dem Fall …?«
Maigret wirkte vergnügt, wie er seine Pfeife rauchte und die Hände auf dem Rücken verschränkt hielt.
»Sehen Sie …«, murmelte Duclos und zeigte auf die Umgebung, die saubere Stadt, in der alles so ordentlich war wie im Küchenschrank einer tüchtigen Hausfrau, auf den Hafen, der viel zu klein war, um eine rauhe A t mosphäre aufkommen zu lassen, auf die heiteren Leute in ihren gelben Holzschuhen.
Dann fuhr er fort:
»Jeder arbeitet. Jeder ist einigermaßen glücklich. Und vor allem nimmt sich jeder zusammen, weil es so sein muß. Es ist eine Notwendigkeit, wenn man in einer Gemeinschaft leben will. Pijpekamp kann Ihnen bestät i gen, daß Diebstähle äußerst selten vorkommen. Es ist so, daß einer, der auch nur ein Zweipfundbrot gestohlen hat, hier gleich für ein paar Wochen ins Gefängnis muß … Wo sehen Sie Unordnung? Keine Landstreicher! Ke i ne Bettler! Es ist die organisierte Sauberkeit.«
»Und ich komme und zerschlage Porzellan!«
»Einen Augenblick! Die Häuser dort links am A m steldiep sind die Wohnungen der besseren Leute, der Reichen, jener, die Macht haben. Jeder kennt sie, den Bürgermeister, die Pastoren, die Lehrer, die Beamten, alle, die über das Wohl der Stadt wachen und aufpassen, daß jeder dort bleibt, wo er hingehört, und dem Nac h barn nicht in die Quere kommt. Ich glaube, ich habe es Ihnen schon gesagt, aber diese Leute gestehen sich nicht einmal zu, ein Café zu betreten, denn damit würden sie ein schlechtes Beispiel geben. Nun ist ein Verbrechen geschehen … Sie vermuten ein Familiendrama …«
Maigret hörte zu und schaute dabei auf die Schiffe, deren Deck höher als der Kai lag und die wie bunte Mauern aufragten, denn es war Flut.
»Ich kenne Pijpekamps Meinung nicht; er ist ein I n spektor, den man sehr schätzt. Ich weiß nur, daß es für alle besser wäre, wenn heute abend gesagt würde, der Mörder des Lehrers sei ein ausländischer Matrose und die Untersuchungen würden weitergeführt. Für jeden! Für Madame Popinga! Für ihre Familie! Für ihren Vater unter anderem, der ein allgemein bekannter Gelehrter ist! Für Beetje und für Monsieur Liewens! Aber vor a l lem um des Beispiels willen! Für die Kleinbürger in der Stadt, die beobachten, was sich in den großen Häusern am Amsteldiep tut, und die es ebenso machen wollen. Sie, Sie wollen die Wahrheit um der Wahrheit willen h e rausfinden, wegen des Glorienscheins, einen schwierigen Fall aufgeklärt zu haben.«
»Das ist es wohl, was Pijpekamp Ihnen heute früh g e sagt hat? Bei der gleichen Gelegenheit hat er gefragt, wie man meinen ungezügelten Eifer eindämmen könnte. Und Sie haben ihm gesagt, daß man in Frankreich Leute wie mich mit einem guten Essen, ja sogar mit Geld b e sticht.«
»So genau haben wir darüber nicht gesprochen.«
»Wissen Sie, woran ich denke, Monsieur Jean D u clos?«
Maigret war stehengeblieben, um die Aussicht auf den Hafen besser genießen zu können. Ein ganz kleines, in einen Laden umgebautes Boot fuhr von Schiff zu Schiff, legte mit knatterndem und qualmendem Motor neben Schleppern und Segelbooten an und verkaufte Brot, Lebensmittel, Tabak, Pfeifen und Genever.
»Ich höre …«
»Ich glaube, Sie haben Glück gehabt, daß Sie mit dem Revolver in der Hand aus dem Badezimmer k a men.«
»Das heißt?«
»Nichts! Wiederholen Sie, daß Sie niemanden im B a dezimmer gesehen haben?«
»Ich habe niemanden gesehen.«
»Und Sie haben nichts gehört?«
Er wandte den Kopf ab.
»Ich habe nichts Genaues gehört … Vielleicht hatte ich das Gefühl, als ob sich etwas unter dem Badewa n nendeckel bewegte …«
»Entschuldigen Sie mich. Ich sehe jemand, der auf mich wartet.«
Und Maigret ging mit großen Schritten auf den Ei n gang des Hotels Van Hasselt zu, vor dem Beetje Liewens auf und ab ging und auf ihn wartete.
Sie versuchte ihm zuzulächeln, wie sonst auch, aber es war nicht echt. Man spürte ihre Nervosität. Sie fuhr fort, die Straße zu beobachten, als ob sie fürchtete, j e manden auftauchen zu sehen.
»Ich warte schon fast eine halbe Stunde auf Sie.«
»Möchten Sie
Weitere Kostenlose Bücher