Maigret und der gelbe Hund
Hunderttausend Dollar! Ich schwor, daß ich kein Geld besaß. In diesem Fall wurden es, ich weiß nicht wie viele Jahre Gefängnis mehr.
Ich bin in Sing-Sing geblieben. Meine Matrosen mußten wohl in ein anderes Gefängnis gebracht worden sein, denn ich habe sie nie wiedergesehen. Man hat mich kahlgeschoren. Man hat mich auf die Straße zum Steineklopfen mitgenommen. Ein Kaplan wollte mir Bibelunterricht geben.
Sie wissen nicht, was es heißt … Es gab reiche Häftlinge, die fast jeden Abend in die Stadt bummeln gingen. Und die anderen waren ihre Knechte!
Was soll’s. Erst ein Jahr später ist mir eines Tages der Amerikaner aus Brest wieder begegnet, der einen Häftling besuchen kam. Ich habe ihn wiedererkannt. Ich habe ihn gerufen. Er hat eine Weile gebraucht, um sich zu erinnern, dann ist er in Lachen ausgebrochen und hat mich ins Sprechzimmer führen lassen.
Er war sehr herzlich. Er behandelte mich wie einen alten Kumpel. Er hat mir erzählt, daß er schon immer Spitzel der Prohibition gewesen sei. Er arbeite vor allem im Ausland, in England, Frankreich, Deutschland, von wo aus er der amerikanischen Polizei Informationen über abgehende Transporte zuspiele. Gleichzeitig aber treibe er hin und wieder Schwarzhandel auf eigene Rechnung. So auch bei diesem Geschäft mit Kokain, das Millionen einbringen sollte, denn zehn Tonnen waren davon an Bord, zu ich weiß nicht wieviel Francs das Gramm. Also habe er sich mit Franzosen in Verbindung gesetzt, die das Boot und einen Teil des Kapitals stellen sollten. Das waren meine drei Männer. Und der Gewinn sollte natürlich unter den vieren geteilt werden.
Aber warten Sie! Denn das Schönste kommt ja noch … Am selben Tag als in Quimper die Verladung stattfand, erhielt der Amerikaner aus seinem Land eine Warnung: Ein neuer Mann befasse sich mit der Prohibition. Die Überwachung werde verschärft. Die Käufer in den USA zögerten, und aus diesem Grund liefe die Ware Gefahr, keinen Abnehmer zu finden.
Dagegen verspreche ein neuer Erlaß jedem, der eine verbotene Ware hochgehen lasse, eine Prämie, die sich auf ein Drittel des Wertes dieser Ware belaufe.
Und das erzählte man mir in meinem Gefängnis! Ich erfuhr, daß meine drei Männer sogar auf dem Quai mit dem Amerikaner diskutiert hatten, während ich beklommen meine Taue schießen ließ und mich fragte, ob wir überhaupt lebend am anderen Ufer des Atlantiks ankämen.
Alles auf eine Karte setzen? … Der Doktor war es, ich weiß, der auf der Denunziation bestanden hat … Zumindest würde auf diese Weise ein Drittel des Kapitals mit Sicherheit zurückgewonnen, ohne Komplikationen zu riskieren …
Außerdem sprach sich der Amerikaner mit einem Kollegen darüber ab, einen Teil des beschlagnahmten Kokains auf die Seite zu schaffen. Unglaubliche Tricks, ich weiß!
Die ›Belle-Emma‹ glitt über das schwarze Wasser des Hafens. Ich sah ein letztes Mal meine Braut, in der Gewißheit, sie ein paar Monate danach zu heiraten …
Und sie wußten, sie, die uns auslaufen sahen, daß man uns bei unserer Ankunft schnappen würde! Sie rechneten sogar damit, daß wir uns wehren würden, daß wir wahrscheinlich im Feuergefecht umkommen würden, wie es damals in amerikanischen Gewässern alle Tage vorkam.
Sie wußten, daß mein Boot beschlagnahmt werden würde, daß es noch nicht einmal ganz bezahlt war, daß ich nichts anderes auf der Welt besaß!
Sie wußten, daß ich von nichts anderem träumte, als zu heiraten … Und sie sahen zu, wie wir ausliefen!
Das war es, was man mir in Sing-Sing gestand, wo ich zu einem Rohling unter anderen Rohlingen geworden bin … Man brachte mir Beweise … Mein Gesprächspartner lachte, klatschte sich auf die Schenkel und rief aus:
›Richtige Lumpen, die drei‹.«
Mit einmal herrschte völliges Schweigen. Und in diesem Schweigen hörte man betroffen, wie der Bleistift von Michoux über ein weißes Blatt huschte, daß er gerade gewendet hatte.
Maigret warf einen Blick auf die Initialen S-S, die auf die Hand des Hünen tätowiert waren, und begriff: »Sing-Sing«!
»Ich glaube, daß ich noch gut zehn Jahre vor mir hatte. In diesem Land, da weiß man nie. Beim geringsten Verstoß gegen die Vorschriften wird die Strafe verlängert und gleichzeitig regnet es Knüppelschläge. Hunderte davon habe ich eingesteckt. Und die Schläge von meinen Mithäftlingen … Und da hat mein Amerikaner zu meinen Gunsten Schritte in die Wege geleitet. Ich glaube, es ekelte ihn vor der Feigheit jener, die er
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