Maigret und der gelbe Hund
meine Freunde nannte. Mein einziger Gefährte war ein Hund. Ein Tier, das ich an Bord großgezogen habe, das mich vor dem Ertrinken gerettet hat und das man dort unten trotz der ganzen Disziplin bei mir im Gefängnis hat leben lassen. Denn sie denken nicht so wie wir über solche Dinge. Eine Hölle! Obwohl man einem sonntags Musik vorspielt, selbst wenn man einen danach bis aufs Blut durchprügeln muß. Zu guter Letzt wußte ich nicht einmal mehr, ob ich noch ein Mann war … Ich habe hundertmal, tausendmal geweint …
Und als man mir eines Morgens die Tür geöffnet und mir einen Kolbenschlag in die Nieren versetzt hat, um mich in das Leben der Gesellschaft zurückzuschicken, da bin ich auf dem Bürgersteig einfach besinnungslos zusammengebrochen … Ich wußte nicht mehr, wie das Leben ist … Ich hatte gar nichts mehr …
Doch! Etwas schon …«
Seine aufgesprungene Lippe blutete. Er vergaß, das Blut abzuwischen. Madame Michoux verbarg ihr Gesicht hinter ihrem Spitzentüchlein, dessen Geruch einem den Magen umdrehte. Und Maigret rauchte in aller Ruhe, ohne den Doktor, der noch immer am Schreiben war, aus den Augen zu lassen.
»Den Willen, all denen, die an diesem Elend schuld waren, das gleiche Schicksal zuzufügen … Nicht, sie umzubringen! Nein! Sterben ist gar nichts. In Sing-Sing habe ich es zwanzigmal versucht, ohne daß es mir gelang. Ich habe mich geweigert zu essen, und ich wurde künstlich ernährt. Aber ihnen zu zeigen, was Gefängnis bedeutet! Am liebsten in Amerika, Aber das war unmöglich.
Ich habe mich in Brooklyn herumgetrieben, wo ich alle Jobs durchgemacht und darauf gewartet habe, meine Überfahrt an Bord eines Schiffs bezahlen zu können. Sogar für meinen Hund habe ich bezahlt.
Von Emma habe ich nie etwas gehört. Nach Quimper habe ich keinen Schritt getan, denn man hätte mich trotz meiner abstoßenden Visage erkennen können.
Hier habe ich dann erfahren, daß sie Serviermädchen und gelegentlich die Mätresse von Michoux sei … Vielleicht auch der übrigen? … Ein Serviermädchen, nicht wahr?
Es war nicht leicht, diese drei Drecksäcke ins Kittchen zu bringen.
Aber ich hatte es drauf angelegt. Ich hatte bloß noch diesen einen Wunsch! Mit meinem Hund habe ich an Bord eines gestrandeten Bootes gehaust, dann in dem ehemaligen Wachlokal auf der ›Pointe du Cabélou‹.
Michoux habe ich mich zuerst gezeigt. Bloß mich gezeigt! Mein gemeines Gesicht, meine grobe Gestalt! Verstehen Sie? Ich wollte ihm Angst einjagen. Ich wollte ihm eine Heidenangst einjagen, die ihn veranlassen würde, auf mich zu schießen! Dabei wäre ich vielleicht draufgegangen. Aber dann? Das Zuchthaus für ihn! Fußtritte! Kolbenschläge! Widerliche Mithäftlinge, stärker als man selbst, die einen zwingen, ihnen zu dienen …
Ich streifte um seine Villa herum. Ich lief ihm über den Weg. Drei Tage! Vier Tage! Er hatte mich wiedererkannt. Er ging seltener aus. Doch das Leben hier hatte sich während dieser ganzen Zeit nicht verändert. Sie saßen beim Aperitif, alle drei! Die Leute grüßten sie! Was ich zum Essen brauchte, stahl ich mir von den Ständen. Ich wollte, daß es schnell ginge …«
Eine deutliche Stimme wurde laut:
»Pardon, Kommissar! Ist diese Vernehmung ohne das Beisein eines Anwalts rechtlich gültig?«
Das war Michoux! … Michoux, weiß wie eine Wand, mit eingefallenen Zügen, hochnäsig, mit blutleeren Lippen. Aber ein Michoux, der mit fast schon drohender Deutlichkeit sprach!
Ein Blick von Maigret befahl einem Polizisten, sich zwischen den Doktor und den Vagabunden zu setzen. Es war höchste Zeit! Léon Le Glérec erhob sich langsam, von dieser Stimme angezogen, mit geballten Fäusten, schwer wie Keulen.
»Hinsetzen! Setzen Sie sich hin, Léon!«
Und während der Koloß mit heiserem Atem gehorchte, sagte der Kommissar, wobei er die Asche aus seiner Pfeife schüttelte:
»Jetzt bin ich an der Reihe mit Reden!«
11
Die Angst
Seine leise Stimme, der schnelle Fluß seiner Rede kontrastierten mit dem leidenschaftlichen Bericht des Matrosen, der ihn von der Seite ansah.
»Zuerst ein Wort über Emma, Messieurs … Sie erfährt, daß ihr Verlobter verhaftet worden ist. Sie hört nichts mehr von ihm. Eines Tages verliert sie aus einem nichtigen Grund ihre Stelle und wird Serviermädchen im Hôtel de l’Amiral. Sie ist ein armes Ding, ohne irgendwelche Beziehungen. Männer machen ihr den Hof, wie eben reiche Gäste einem Dienstmädchen den Hof machen. Zwei Jahre, drei Jahre verstreichen.
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