Maigret und der gelbe Hund
Sie weiß nicht, daß Michoux der Schuldige ist. Sie geht eines Abends auf sein Zimmer. Und die Zeit verstreicht weiter, das Leben geht seinen Gang. Michoux hat noch andere Mätressen. Hin und wieder bekommt er Lust, im Hotel zu übernachten. Oder aber, er läßt Emma zu sich nach Hause kommen, wenn seine Mutter nicht da ist. Eine fade Liebelei, ohne Liebe. Sie ist keine Heldin. In einem Muschelkästchen bewahrt sie einen Brief auf, ein Foto, aber es ist nur ein alter Traum, der jeden Tag mehr und mehr verblaßt.
Sie weiß nicht, daß Léon gerade wieder zurückgekehrt ist. Den gelben Hund, der um sie herumstreift und der vier Monate alt war, als das Schiff ausgelaufen ist, hat sie nicht wiedererkannt.
Eines Nachts diktiert ihr Michoux einen Brief, ohne ihr zu sagen, an wen er gerichtet ist. Es geht darum, sich mit jemandem um elf Uhr abends in einem unbewohnten Haus zu verabreden.
Sie schreibt … Ein Serviermädchen! Verstehen Sie? Léon Le Glérec hat sich nicht getäuscht. Michoux hat Angst! Er wähnt sein Leben in Gefahr. Er will den umherstreifenden Gegner aus dem Weg räumen.
Aber er ist ein Feigling! Er selbst hat es mir gegenüber immer wieder betont. Er bindet den Brief mit einer Schnur dem Hund um den Hals, um ihn so seinem Opfer zukommen zu lassen, dem er im Flur des Hauses hinter der Eingangstür auflauern will.
Ob Léon mißtrauisch werden wird? Aber ob er nicht trotz allem seine ehemalige Braut wiedersehen will? In dem Augenblick, da er an die Tür klopfen würde, könnte Michoux durch den Briefkasten schießen und über die Gasse davonlaufen. Und das Verbrechen würde um so mehr ein Rätsel bleiben, als niemand das Opfer wiedererkennen würde …
Aber Léon ist mißtrauisch. Vielleicht streift er schon über den Platz? Ob er sich dazu entschließt, zu der Verabredung zu kommen? Der Zufall will, daß Monsieur Mostaguen in diesem Moment leicht angetrunken das Café verläßt und am Hauseingang stehenbleibt, um sich eine Zigarre anzuzünden. Er schwankt. Er stößt an die Tür. Das ist das Zeichen. Eine Kugel trifft ihn mitten in den Bauch …
Das ist der erste Fall. Der Anschlag von Michoux ist gescheitert. Er ist nach Hause gegangen. Goyard und Le Pommeret, die Bescheid wissen und die am Verschwinden desjenigen, der sie alle drei bedroht, das gleiche Interesse haben, sind entsetzt.
Emma hat begriffen, welches Spiel man mit ihr getrieben hat. Ob sie Léon gesehen hat? Ob sie nachgegrübelt und den gelben Hund endlich erkannt hat?
Tags darauf bin ich an Ort und Stelle. Ich sehe die drei Männer. Ich fühle ihr Entsetzen. Sie sind auf ein Verbrechen gefaßt! Und ich will herausfinden, von welcher Seite sie den Anschlag erwarten. Ich will unbedingt sicher sein, daß ich mich nicht täusche.
Ich selbst vergifte also eine Flasche Aperitif, wie ein Stümper … Ich bin bereit einzugreifen, falls jemand trinken sollte. Aber nein! Michoux ist auf der Hut! Michoux mißtraut allem, den vorbeigehenden Leuten, dem, was er trinkt. Er traut sich nicht einmal, das Hotel zu verlassen.«
Emma war in eine solche Starre gefallen, daß man sich ein ergreifenderes Bild der Verblüffung schwer vorstellen konnte. Und Michoux hatte für einen Moment den Kopf gehoben, um Maigret in die Augen zu sehen. Jetzt schrieb er fieberhaft mit.
»Das war das zweite Verbrechen, Herr Bürgermeister! Und unser Trio ist noch immer am Leben, hat noch immer Angst. Goyard ist der Sensibelste von den dreien, bestimmt ist er auch der kleinste Schuft. Die Sache mit dem Giftanschlag hat ihn außer sich gebracht. Er spürt, daß er eines schönen Tages daran glauben wird. Er ahnt, daß ich ihm auf der Spur bin. Und er beschließt, sich aus dem Staub zu machen. Sich aus dem Staub zu machen, ohne eine Spur zu hinterlassen. Er wird ein Verbrechen fingieren, wird vortäuschen, daß er tot sei und daß man seine Leiche ins Wasser des Hafens geworfen habe.
Zuvor treibt ihn die Neugier dazu, bei Michoux herumzustöbern, vielleicht auf der Suche nach Léon, um ihm eine Aussöhnung anzubieten. Dort stößt er auf Spuren, die der Rohling auf seinem Weg hinterlassen hat. Er begreift, daß es nicht lange dauern wird, bis auch ich diese Spuren entdecke.
Schließlich ist er Journalist! Er weiß außerdem, wie leicht beeindruckbar die Massen sind. Er weiß, daß er, solange Léon am Leben ist, nirgends in Sicherheit sein kann. Und er kommt auf etwas wirklich Geniales: auf den Artikel, geschrieben mit der linken Hand, eingesandt an den Phare de Brest
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