Maigret und der Spion
die zu diesem Anschlag imstande waren, sind mit angemessener Vorsicht zu Werk gegangen. Sie haben an alles gedacht.
Und da ich davon überzeugt bin, daß sie an alles g e dacht haben, bringe ich die Karten durcheinander. Sie haben die Leiche im ›Hôtel Moderne‹ liegen lassen! Na, schön! Also schaffe ich sie in dem Weidenkoffer zum Zoologischen Garten, mit einem Taxifahrer als Kompl i zen, dessen Schweigen, unter uns gesagt, hundert Franc kostet, was wahrhaftig nicht teuer ist …
Am nächsten Tag wird die Leiche dort entdeckt. Können Sie sich die Reaktion des Mörders vorstellen, wie beunruhigt er ist?
Und bestehen da nicht Aussichten, daß er, veruns i chert, eine Unvorsichtigkeit begeht?
Ich treibe meine Vorsicht so weit, daß ich mich der hiesigen Polizei nicht vorstelle. Es darf keinerlei Indi s kretion geben.
Ich war im ›Gai-Moulin‹. Aller Wahrscheinlichkeit nach war auch der Mörder dort. Nun, ich habe eine L i ste aller Gäste jener Nacht und hole Erkundigungen über sie ein, beginnend mit den beiden jungen Leuten, die recht nervös zu sein scheinen.
Die Zahl der möglichen Täter ist gering: Jean Ch a bot, René Delfosse, Génaro, Adèle und Victor …
Allenfalls einer der Musiker oder der zweite Kellner, Joseph. Aber ich ziehe es vor, mit den zwei Burschen a n zufangen.
Und gerade dann, als ich mich mit ihnen befasse, greifen Sie ein! Verhaftung von Chabot! Flucht von De l fosse! Die Zeitungen, die melden, daß das Verbrechen im ›Gai-Moulin‹ verübt wurde!«
Maigret stieß einen tiefen Seufzer aus, wechselte die Stellung seiner Beine.
»Einen Augenblick dachte ich, man hätte mich übe r tölpelt. Das will ich gerne gestehen. Die Sicherheit, mit der Chabot behauptete, daß die Leiche eine Viertelstu n de nach Schließung des Lokals dort lag.«
»Er hat sie schließlich gesehen!« warf Kommissar De l vigne ein.
»Entschuldigen Sie! Er hat im Schein eines Streic h holzes, das nur ein paar Sekunden brannte, undeutlich eine auf dem Boden liegende Gestalt gesehen. Delfosse ist es, der behauptete, es sei eine Leiche gewesen … Ein Auge offen, das andere geschlossen, wie er sagte … Doch vergessen Sie nicht, daß sie beide aus einem Keller kamen, in dem sie lange reglos gestanden hatten, daß sie Angst hatten, daß es ihr erster Einbruch war …
Delfosse hatte die Sache ausgeheckt. Er war es, der seinen Kumpan hineinzog. Und er ist es, der als erster kneift, sobald er den Körper am Boden liegen sieht!
Ein nervöser, kränkelnder, verdorbener Bursche. A n ders ausgedrückt, ein Bursche mit Phantasie!
Er hat die Leiche nicht berührt! Er ist nicht näher h e rangegangen. Er hat kein zweites Streichholz angezü n det! Beide sind sie geflohen, ohne die Kassenschublade au f zubrechen …
Deshalb riet ich Ihnen, herauszufinden, was dieser Graphopulos im ›Gai-Moulin‹ trieb, nachdem er schei n bar weggegangen war …
Wir haben es weder mit einem Affektdelikt noch mit einem gemeinen Verbrechen oder einem gewöhnlichen Diebstahl zu tun. Dies ist genau die Art von Affäre, die es der Polizei meist nicht aufzuklären gelingt, weil sie sich Leuten gegenüber sieht, die zu intelligent und zu gut organisiert sind!
Und das ist der Grund, weshalb ich mich verhaften ließ. Die Karten schön durcheinanderbringen! Die Täter glauben lassen, daß ihnen nichts passieren kann, daß die Ermittlungen völlig fehlschießen!
Und dadurch eine Unvorsichtigkeit provozieren … «
Kommissar Delvigne wußte noch nicht, was er von all dem halten sollte. Er musterte seinen Kollegen weiterhin mit sichtlichem Ressentiment, und seine Miene war so komisch, daß Maigret lachen mußte und mit bärbeiß i ger Herzlichkeit sagte:
»Kommen Sie! Tragen Sie es mir nicht nach! … Ich habe gemogelt, zugegeben. Ich habe Ihnen nicht gleich gesagt, was ich wußte … Vielmehr, ich habe Ihnen nur eines verschwiegen: die Sache mit dem Weidenkoffer … Dagegen haben Sie einen Baustein des Puzzles, den ich nicht habe … «
»Und der wäre?«
»Vielleicht derjenige, der im Moment am wertvollsten ist. So wertvoll, daß ich, bloß um dazuzukommen, I h nen all das eben erzählte. Der Weidenkoffer ist im Zo o logischen Garten aufgefunden worden. Graphopulos hatte nur eine Visitenkarte ohne Adresse bei sich. Und trotzdem waren Sie schon am Nachmittag im ›Gai-Moulin‹ und wußten, daß Chabot und Delfosse sich auf der Kellertreppe versteckt hatten. Wer hat es Ihnen g e sagt?«
Kommissar Delvigne lächelte. Jetzt war es an
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