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Maigret und die alte Dame

Maigret und die alte Dame

Titel: Maigret und die alte Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Mund zu schieben und schaute sie verblüfft und etwas bewundernd an.
    »Warum fragen Sie mich das?«
    »Weil ich die einzige Person im Haus war, die das Gift in das Glas schütten konnte. Genauer gesagt, ich war die einzige, die sich noch im Haus aufhielt, als es passierte.«
    »Sie wollen sagen, Mimi hätte es vor der Abfahrt tun können?«
    »Mimi oder Charles oder auch Theo. Nur wird man zwangsläufig an mich denken.«
    »Warum zwangsläufig?«
    »Weil alle glauben, dass ich meine Mutter nicht liebe.« »Und stimmt das?«
    »Es stimmt ungefähr.«
    »Würde es Ihnen viel ausmachen, wenn ich Ihnen einige Fragen stelle? Wobei ich betone, dass ich sie nicht dienstlich stelle. Sie sind es gewesen, die mich aufsuchte.«
    »Sie hätten sie irgendwann doch stellen müssen, nicht wahr?«
    »Möglich, und sogar wahrscheinlich.«
    Das ältere Paar saß drei Tische weg von ihnen, außerdem saß noch eine Frau mittleren Alters an einem Tisch, die ihren etwa achtzehn Jahre alten Sohn nicht aus den Augen ließ und ihn bemutterte wie ein Baby. Von einem Tisch, an dem lauter junge Mädchen saßen, kam ab und zu schallendes Gelächter herüber.
    Maigret und seine Begleiterin unterhielten sich leise, scheinbar ruhig und sachlich, und aßen dabei.
    »Seit wann lieben Sie Ihre Mutter nicht mehr?«
    »Seit dem Tag, an dem ich merkte, dass sie mich nie geliebt hat, dass meine Geburt nicht geplant war und ich ihr Leben verpfuscht hatte.«
    »Wann machten Sie diese Entdeckung?«
    »Als ich noch ein kleines Mädchen war. Es ist übrigens einseitig, wenn ich dabei nur von mir rede. Ich sollte sagen, dass Mama nie jemand geliebt hat, nicht einmal mich.«
    »Hat sie Ihren Vater auch nicht geliebt?«
    »Seit dem Tag, an dem er starb, wurde sein Name nicht mehr erwähnt. Ich wette, dass Sie nicht eine einzige Fotografie meines Vaters im Haus finden. Sie sind ja vorhin dort gewesen und haben Mamas Zimmer gesehen. Ist Ihnen nichts aufgefallen?«
    Er dachte angestrengt nach und gestand dann: »Nein.«
    »Vielleicht haben Sie noch nicht oft die Gelegenheit gehabt, ältere Damen in ihren Wohnungen zu besuchen. Meistens sehen Sie an den Wänden und auf den Möbelstücken eine Unmenge Fotografien.«
    Sie hatte recht. Er erinnerte sich jedoch an ein Porträt, das Bild eines alten Mannes, das in einem prächtigen Silberrahmen auf dem Nachttisch stand.
    »Mein Stiefvater«, antwortete sie auf seinen Einwand. »Erstens steht es vor allem wegen des Rahmens da. Zweitens ist er immerhin der ehemalige Besitzer der Juva-Produkte, was nicht vergessen werden darf. Und drittens hat er sein halbes Leben damit zugebracht, meiner Mutter jeden Wunsch von den Augen abzulesen und ihr all das zu geben, was sie besessen hat. Haben Sie ein Bild von mir gesehen? Haben Sie welche von meinen Stiefbrüdern gesehen? Charles fotografiert zum Beispiel leidenschaftlich gern seine Kinder in allen Lebensabschnitten und schickt Abzüge an die Familie. Bei Mama liegen all diese Bilder in einer Schublade, zusammen mit Bleistiftstummeln, alten Briefen, Garnrollen, was weiß ich. An den Wänden aber hängen Fotos von ihr, von ihren Autos, ihrem Schloss, ihrer Yacht, ihren Katzen, vor allem von ihren Katzen.«
    »Sie lieben sie wirklich nicht!«
    »Ich glaube, ich nehme ihr das nicht einmal mehr übel.«
    »Warum?«
    »Das spielt keine Rolle. Doch wenn man versucht hat, sie zu vergiften...«
    »Verzeihung. Sie sagten gerade, wenn.«
    »Ich habe das nur so gesagt, obwohl man bei Mama nie weiß...«
    »Wollen Sie damit vielleicht andeuten, sie hat es vorgetäuscht, dass man sie vergiften wollte?« »Das ließe sich nicht aufrechterhalten, weil das Gift ja im Glas war, und zwar genug für einen Mord, denn die arme Rose ist tot.«
    »Ihre Stiefbrüder und Ihre Schwägerin teilten Ihr... sagen wir Ihr Desinteresse, wenn nicht Ihre Abneigung Ihrer Mutter gegenüber?«
    »Ja, aber aus anderen Gründen. Mimi mag sie nicht, weil sie der Meinung ist, dass mein Stiefvater ohne sie nicht sein Vermögen verloren hätte.«
    »Stimmt das?«
    »Ich weiß nicht. Sicher ist nur, dass er am meisten Geld für sie ausgab und vor allem ihr damit imponieren wollte.«
    »Wie waren Ihre Beziehungen zu Ihrem Stiefvater?«
    »Beinahe unmittelbar nach der Hochzeit steckte Mama mich in ein sehr vornehmes und sehr teures Schweizer Pensionat unter dem Vorwand, mein Vater wäre tuberkulös gewesen und meine Lunge müsste beobachtet werden.«
    »Unter dem Vorwand?«
    »Ich habe noch nie in meinem Leben gehustet. Doch

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