Maigret und die Tänzerin Arlette
wenigen Jahren bist du wieder frei, mein kleines Mädchen, und immer noch schön und außerdem reich, wenn du mir erlaubst, daß ich für dich sorge…‹
Er schrieb ihr jeden Tag, bisweilen nur kleine Zettel wie ein Gymnasiast: ›Ich liebe dich, ich liebe dich.‹ Dann plötzlich kommt es wie ein Rausch über ihn. Der Ton seiner Briefe klingt auf einmal ganz anders, und mit einer Mischung aus Leidenschaft und Hingabe spricht er von ihrem Körper.
›Ich kann nicht glauben, daß dieser Körper mir einmal gehört hat, diese Brüste, diese Hüften, dieser Leib…‹«
Maigret blickte Lapointe nachdenklich an, aber sein Gesicht blieb dabei völlig ernst.
»Von da an quält ihn nur noch der Gedanke, sie verlieren zu können. Zugleich ist er von Eifersucht geplagt. Er fleht sie an, ihm alles zu sagen, selbst wenn ihm die Wahrheit weh tun müsse. Er erkundigt sich, was sie am Tage vorher gemacht, mit welchen Männern sie gesprochen hat. Es ist da die Rede von einem Musiker des Kasinos, der ihm besonders verdächtig ist und den er als Nebenbuhler fürchtet. Er will auch alles aus ihrer Vergangenheit wissen. ›Alles, alles muß ich von dir wissen.‹ Schließlich beschwört er sie, ihn zu heiraten. Von ihr sind keine Briefe dabei. Sie scheint ihm nicht geschrieben, sondern nur mit ihm telefoniert zu haben, wenn sie nicht bei ihm war. In einem der letzten Briefe, wo er wieder auf sein Alter zu sprechen kommt, schreibt er verzweifelt: ›Ich hätte verstehen müssen, daß dein schöner Körper Bedürfnisse hat, die ich nicht befriedigen kann. Das zerreißt mir das Herz. Jedesmal, wenn ich darüber nachdenke, empfinde ich einen solchen Schmerz, daß ich zu sterben glaube. Aber lieber noch will ich dich mit jemandem teilen, als dich ganz zu verlieren. Ich schwöre dir, ich werde dir nie Szenen oder Vorwürfe machen. Du wirst ebenso frei sein, wie du es heute bist, und ich werde still in meiner Ecke sitzen und darauf warten, daß du mir altem Mann etwas Freude bringst…‹«
Lapointe schneuzte sich.
»Sie sind dann nach Capri gefahren, um dort zu heiraten. Ich weiß nicht warum. Einen Ehevertrag hatten sie nicht und haben also in Gütergemeinschaft gelebt. Einige Monate waren sie auf Reisen, sind in Konstantinopel und Kairo gewesen und haben dann mehrere Wochen in einem Hotel an der Champs-Elysées gewohnt. Ich habe das aus der Hotelrechnung ersehen, die sich unter den Papieren befindet.«
»Wann ist er gestorben?«
»Die Polizei in Nizza hat mir alles ganz genau sagen können. Knapp drei Jahre nach ihrer Heirat. Sie waren kurz vorher in die Oase gezogen. Monatelang sah man sie beide in einer von einem Chauffeur gesteuerten Limousine zu den Kasinos von Monte Carlo, Cannes und Juan les Pins fahren.
Sie war äußerst elegant gekleidet und mit kostbarem Schmuck behängt, überall, wo sie sich zeigte, erregte sie Aufsehen, und ihr Mann folgte ihr auf Schritt und Tritt. Er war klein, trug einen grauen Spitzbart und wirkte sehr gebrechlich, und man nannte ihn überall ›die Ratte‹.
Sie setzte immer große Summen, flirtete ungeniert und soll eine ganze Menge Abenteuer gehabt haben. Wie ihr Schatten wartete er geduldig mit resigniertem Lächeln bis in die frühen Morgenstunden.«
»Wie ist er gestorben?«
»Nizza wird Ihnen den Bericht per Post schicken, denn der Tod des Grafen hat damals eine polizeiliche Untersuchung erforderlich gemacht. Die Oase befindet sich an der Corniche, und die von Palmen umgebene Terrasse liegt wie die meisten Besitzungen dort auf einem steilen, hundert Meter hohen Felsen. Am Fuße dieses Felsens hat man eines Morgens die Leiche des Grafen aufgefunden.«
»Hat er viel getrunken?«
»Er bekam eine Kur verordnet, und sein Arzt hatte ihm erklärt, daß gewisse Medikamente, die er einnehmen mußte, Schwindelanfälle verursachen konnten.«
»Schliefen der Graf und die Gräfin im selben Zimmer?«
»Sie hatten jeder ein eigenes Schlafzimmer. Am Abend vorher waren sie wie gewöhnlich zum Kasino gefahren und gegen drei Uhr morgens zurückgekommen, was für sie ausnahmsweise früh war. Die Gräfin war sehr müde. Sie hatte ihre kritischen Tage, unter denen sie immer sehr litt. Sie ist dann gleich schlafen gegangen. Ihr Mann dagegen ist nach der Aussage des Chauffeurs noch einmal in die Bibliothek hinuntergegangen, von der eine Glastür auf die Terrasse führt. Er tat das bisweilen, wenn er an Schlaflosigkeit litt. Er schlief überhaupt nur wenig. Vermutlich hat er dann draußen etwas Luft schnappen
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