Maigret und die Tänzerin Arlette
»Vergiß nicht, was ich dir angekündigt habe!«
Aber Philippe hatte sich schon wieder gefaßt.
»Ich habe nie jemanden mit ihr zusammen gesehen.«
»Keinen Mann und keine Frau?«
»Niemanden.«
»Hast du sie nie den Vornamen Oskar erwähnen hören?«
»Ich kenne niemanden, der so heißt.«
»Hattest du den Eindruck, daß sie sich vor jemandem fürchtete?«
»Sie hatte nur Angst davor, ganz allein zu sterben.«
»Hat sie sich nie mit dir gezankt?«
Seine Gesichtsfarbe war zu bleich, als daß er überhaupt hätte erröten können, dennoch verfärbten sich seine Ohrläppchen ein wenig.
»Woher wissen Sie das?«
Und mit einem eindeutigen und zugleich leicht verächtlichen Lächeln fügte er hinzu: »So endet so was ja immer.«
»Erklär mir das genauer.«
»Da können Sie jeden fragen.«
Das bedeutete: jeden, der dem Rauschgift verfallen ist. In einem fast weinerlichen Ton, als wüßte er, daß man ihn doch nicht verstehen könne, fuhr er dann fort:
»Wenn sie nichts mehr hatte und es sich nicht gleich beschaffen konnte, wurde sie wütend auf mich, beschuldigte mich, ihr Morphium abgebettelt und sogar gestohlen zu haben, schwor, daß sie am Abend vorher noch sechs oder zwölf Ampullen in der Schublade gehabt hätte.«
»Hattest du einen Schlüssel zu ihrer Wohnung?«
»Nein.«
»Bist du nie in ihrer Abwesenheit dort gewesen?«
»Sie war fast immer da. Manchmal verließ sie ihr Schlafzimmer eine Woche und noch länger nicht.«
»Antworte auf meine Frage mit ja oder nein. Bist du nie in ihrer Abwesenheit in ihrer Wohnung gewesen?«
Wieder ein kaum merkliches Zögern.
»Nein.«
Wie zu sich selbst murmelte Maigret:
»Du lügst.«
Durch diesen Philippe war die Atmosphäre in seinem Büro fast ebenso erstickend und unwirklich geworden wie die in der Wohnung in der Rue Victor-Masse.
Maigret wußte über die Rauschgiftsüchtigen gut genug Bescheid, um zu wissen, daß Philippe, wenn ihm das Morphium ausging, versucht hatte, sich um jeden Preis etwas zu beschaffen. In diesen Fällen ging er genau wie in der letzten Nacht, wo er Geld für seine Flucht hatte auftreiben wollen, bei allen, die er kannte, herum und bettelte sie ohne die geringste Scham an. In der verkommenen Welt, in der er jetzt lebte, war das bestimmt nicht immer leicht. Es wäre darum gar nicht verwunderlich gewesen, daß er wartete, daß sie einmal ausging. Die Gräfin hatte ja fast immer ein paar Ampullen in ihrer Schublade. Und sicher war sie manchmal ihm gegenüber geizig.
Gewiß, das war nur eine Vermutung, aber sie entsprach durchaus der Logik.
Leute dieser Art spionieren hintereinander her, sind eifersüchtig aufeinander, bestehlen sich und zeigen sich manchmal sogar gegenseitig an. Unzählige Male wird die Kriminalpolizei von Menschen angerufen, die ihren Namen nicht nennen und nur ihre Rachsucht stillen wollen.
»Wann hast du sie zum letztenmal gesehen?«
»Vorgestern früh.«
»Bist du sicher, daß es nicht gestern früh war?«
»Gestern früh war ich krank und bin im Bett geblieben.«
»Was hattest du?«
»Ich hatte seit zwei Tagen kein Morphium mehr.«
»Hat sie dir nichts gegeben?«
»Sie hat mir geschworen, sie hätte selber nichts und der Doktor habe ihr nichts beschaffen können.«
»Habt ihr euch gezankt?«
»Wir waren beide schlechter Stimmung.«
»Hast du ihr geglaubt, was sie dir gesagt hat?«
»Sie hat mir die leere Schublade gezeigt.«
»Wann erwartete sie den Arzt?«
»Sie wußte nicht, wann er kommen würde. Sie hatte ihn angerufen, und er hatte ihr versprochen, daß er nach ihr sehen würde.«
»Bist du dann noch einmal zu ihr gegangen?«
»Nein.«
»Jetzt will ich dir mal etwas sagen. Man hat gestern nachmittag gegen fünf Uhr die Leiche der Gräfin aufgefunden. Die Abendzeitungen waren schon heraus. Die Nachricht ist also erst heute morgen veröffentlicht worden. Du aber hast die ganze Nacht damit verbracht, dir Geld für deine Flucht nach Belgien zu beschaffen. Woher wußtest du, daß die Gräfin tot war?«
Er wollte offensichtlich schon sagen: »Ich habe es gewußt«, aber unter dem strengen Blick des Kommissars besann er sich dann doch eines anderen.
»Ich bin durch die Straße gegangen und habe die Gaffer vor dem Hause stehen sehen.«
»Wann war das?«
»Um halb sieben.«
Zu der Zeit war Maigret in der Wohnung gewesen, und hatte tatsächlich ein Polizist vor dem Hause gestanden, um die Neugierigen zurückzudrängen.
»Leer deine Taschen.«
»Inspektor Lognon hat sie mich schon
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