Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret und die Tänzerin Arlette

Maigret und die Tänzerin Arlette

Titel: Maigret und die Tänzerin Arlette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
leeren lassen.«
    »Das schadet nichts. Tu’s noch mal.«
    Ein schmutziges Taschentuch, zwei Schlüssel an einem Ring – der eine war der Kofferschlüssel –, ein Taschenmesser, ein Portemonnaie, eine kleine Schachtel mit Pillen, eine Brieftasche, ein Notizbuch und eine Spritze im Etui kamen zum Vorschein.
    Maigret nahm das Notizbuch in die Hand, das schon ziemlich alt sein mußte, denn die Seiten waren ganz vergilbt. Unzählige Adressen und Telefonnummern standen darin, aber fast keine Namen. Nur die Anfangsbuchstaben oder Vornamen. Den Namen Oskar fand er nicht.
    »Hast du, als du erfuhrst, daß die Gräfin erdrosselt worden war, daran gedacht, du könntest verdächtigt werden?«
    »So ist das ja immer.«
    »Und darum hast du beschlossen, nach Belgien zu fahren? Kennst du dort jemanden?«
    »Ich bin öfter in Brüssel gewesen.«
    »Wer hat dir das Geld gegeben?«
    »Ein Freund.«
    »Was für ein Freund?«
    »Ich weiß seinen Namen nicht.«
    »Du tätest besser daran, ihn mir zu sagen.«
    »Der Doktor.«
    »Dr. Bloch?«
    »Ja. Ich hatte nichts auftreiben können, und es war schon drei Uhr früh, und ich bekam es allmählich mit der Angst. Da habe ich ihn schließlich von einem Lokal in der Rue Caulaincourt angerufen.«
    »Was hast du ihm gesagt?«
    »Ich sei ein Freund der Gräfin und brauchte dringend Geld.«
    »War er gleich dazu bereit?«
    »Ich habe hinzugefügt, wenn man mich verhaftete, würde er Scherereien haben.«
    »Kurz gesagt, du hast ihn erpreßt! Hat er dich zu sich bestellt?«
    »Er hat gesagt, ich solle in der Rue Victor-Masse vorbeikommen, wo er wohnt, und er würde mich dort vor dem Hause erwarten.«
    »Hast du ihn noch um sonst etwas gebeten?«
    »Er hat mir eine Ampulle gegeben.«
    »Und du hast sie dir dann vermutlich in einem Hauseingang eingespritzt? Ist das alles? Weiter weißt du nichts?«
    »Nein, weiter weiß ich nichts.«
    »Ist der Doktor auch schwul?«
    »Nein.«
    »Woher weißt du das?«
    Philippe zuckte die Schultern, als wäre die Frage zu naiv.
    »Hast du keinen Hunger?«
    »Nein.«
    »Hast du keinen Durst?«
    Die Lippen des jungen Mannes zitterten, aber nicht nach Essen und Trinken verlangte es ihn.
    Maigret erhob sich schwerfällig und öffnete wieder einmal die Verbindungstür. Torrence war zufällig im Nebenzimmer. Ein breiter, schwerer Mann mit richtigen Fleischerhänden. Die Leute, die er vernahm, ahnten nicht entfernt, daß er im Grunde sehr gutmütig war.
    »Komm mal eben her«, sagte der Kommissar. »Du schließt dich jetzt mit diesem Burschen ein und läßt ihn nicht eher laufen, bis er dir alles bis ins Letzte gebeichtet hat. Es ist dabei gleichgültig, ob es achtundvierzig Stunden oder drei Tage dauert. Wenn du nicht mehr kannst, laß dich ablösen.«
    Mit verstörter Miene setzte sich Philippe zur Wehr:
    »Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß. Sie wollen mich nur fertigmachen.« Und mit einer kreischenden Frauenstimme schrie er dann: »Sie sind ein Scheusal… Sie sind gemein… Sie… Sie.«
    Maigret trat zur Seite, um ihn vorbei zu lassen, und zwinkerte dabei dem bärenstarken Torrence zu. Die beiden Männer gingen dann durch das große Büro der Inspektoren in einen Raum, den man scherzhaft das »Geständniszimmer« nannte, und Torrence rief im Vorübergehen Lapointe zu: »Laß mir Bier und Brötchen bringen.«
    Als er mit seinen Mitarbeitern allein war, reckte und streckte sich Maigret erst einmal und wollte schon trotz der Kälte draußen das Fenster öffnen.
    »Nun, Kinder?« Erst jetzt merkte er, daß Lucas schon wieder zurück war.
    »Sie ist wieder hier, Chef, und wartet auf Sie, weil sie Sie noch einmal sprechen möchte.«
    »Die Tante aus Lisieux? Wie hat sie sich denn aufgeführt?«
    »Wie eine alte Frau, die sich daran ergötzt, andere zu Grabe zu tragen, während sie selber noch munter weiterlebt. Es war nicht nötig, ihr mit Essig oder Riechsalz beizuspringen. Sie hat seelenruhig die Tote von oben bis unten betrachtet. Und dabei hat sie mich auf einmal schockiert gefragt: ›Warum hat man ihr die Haare abrasiert?‹ Ich habe ihr geantwortet, wir hätten das nicht getan, und sie konnte das überhaupt nicht fassen. Sie hat mich dann auf das Muttermal an der Fußsohle aufmerksam gemacht. ›Aber Sie sehen ja, ich hätte sie auch ohne das wiedererkannt.‹ Beim Hinausgehen hat sie schließlich verkündet, ohne mich auch nur zu fragen, was ich dazu meine: ›Ich gehe jetzt wieder mit Ihnen mit. Ich muß auf jeden Fall noch mal den Kommissar sprechen.

Weitere Kostenlose Bücher