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Maigret und Monsieur Charles

Maigret und Monsieur Charles

Titel: Maigret und Monsieur Charles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Dienst in der Sainte-Anne-Klinik erst um zwei Uhr an.
    »Es ist dringend, nehme ich an.«
    »Die Angelegenheit, in der ich Sie sprechen möchte, erscheint mir dringend, ja.«
    Er wohnte in einem Appartement, in dem eine gewisse Unordnung herrschte, und er war anscheinend Junggeselle, denn auf dem Tisch, den das Dienstmädchen gerade abräumte, stand nur ein Gedeck. Er hatte struppiges rotes Haar und Sommersprossen, und sein Tweedanzug war so zerknittert, als ob er darin geschlafen hätte.
    Später sollte Maigret erfahren, dass er einer der bedeutendsten Psychiater von Frankreich, wenn nicht von ganz Europa war.
    »Setzen Sie sich. Rauchen Sie Ihre Pfeife und sagen Sie mir, was Sie trinken möchten.«
    »Im Augenblick nichts. Ich weiß, dass Ihre Zeit kostbar ist. Sie kannten Sabin-Levesque sehr gut...«
    »Als wir studierten, war ich oft genug mit ihm zusammen unterwegs, um ihn gut zu kennen... Sagen Sie bloß nicht, dass er mit der Polizei zu tun hat...«
    »Er ist seit über einem Monat verschwunden...«
    »Ohne jemand Bescheid zu sagen?« »Ohne jemand Bescheid zu sagen. Nicht einmal seinen Kanzleileiter hat er angerufen, was er sonst immer tat, wenn er wegfuhr, und sonst blieb er höchstens eine Woche lang weg...«
    »Was mag ihm zugestoßen sein?« murmelte Amadieu vor sich hin.
    Dann, ein wenig verwundert:
    »Aber wie kann ich Ihnen helfen?«
    »Ich bin auf der Suche nach einem Mann, den ich nie gesehen habe, über den ich bis gestern überhaupt nichts wusste, und muss nun versuchen, mir ein Bild von ihm zu machen.«
    »Ich verstehe...«
    »Ihr Freund Florian, von dem ich gerade komme und der mir Ihren Namen gegeben hat, hält ihn für einen robusten Menschen.«
    »Ich auch.«
    »Könnte es sein, dass die Art von Leben, das er nun schon so lange führt, ihn zum Selbstmord getrieben hat?«
    »Das wäre nicht seine Art. Im Übrigen verschaffte er sich Ausgleich...«
    »Ich weiß. Ich habe einige seiner Gefährtinnen kennengelernt ...«
    »Nach seiner Heirat bin ich mehrmals zum Abendessen am Boulevard Saint-Germain gewesen...«
    »Nur als Freund?«
    »Ich glaube, ich darf trotz der ärztlichen Schweigepflicht auf diese Frage antworten... Gerard hat mich gebeten, zu kommen und seine Frau zu begutachten... Er fragte sich, ob sie geistig völlig gesund sei... Ich fand eine hochintelligente Frau vor, die mich gleich am ersten Abend durchschaute... Sie sah mich heiter und gelassen an, als wolle sie mich herausfordern... Sie trank mit Absicht in einem fort...«
    »Das tut sie immer noch.«
    »Ich weiß, aber als ich dort war, trank sie doppelt so viel, und bei jedem Glas warf sie mir einen Blick zu.
    >Es ist eine Krankheit, nicht wahr, Herr Doktor<, sagte sie. >Ich bin das, was man eine unheilbare Alkoholikerin nennt... <
    >Fast alles ist heilbar, Madame, vorausgesetzt natürlich, dass man den Willen dazu hat...<
    >Wie soll man den Willen dazu haben, wenn man dem Leben nicht ins Auge sehen kann? Ich bin einsam hier, und mein Mann verachtet mich und hat nicht die geringste Zuneigung zu mir...«
    >Ich bin sicher, dass Sie sich irren. Ich kenne Gerard. Wenn er Sie geheiratet hat, dann weil er Sie liebte...< >Er glaubte mich zu lieben... Ich liebte ihn nicht, aber ich hoffte, das würde noch kommen... Er ist der egoistischste und zynischste Mensch, den ich kenne ...<« Amadieu zündete seine Pfeife an und blies eine Rauchwolke zur Decke hinauf. Überall im Zimmer, das weder ein Salon noch ein Büro noch ein Sprechzimmer war, lagen Bücher und Zeitschriften herum.
    »Sie sehen, in welcher Lage ich mich befand. Der arme Gerard, der dabeisaß, steckte alles ein, ohne mit der Wimper zu zucken. Bei meinem fünften oder sechsten Besuch kam sie in dem großen Salon auf mich zu und sagte, ohne mir Zeit zu lassen, sie zu begrüßen: >Monsieur Amadieu, sparen Sie sich die Mühe weiterzugehen. Das Essen findet nicht statt. Und Sie sind von nun an in diesem Haus nicht mehr erwünscht. Wenn ich einen Psychiater brauche, werde ich mir selbst einen aussuchen...<
    Sie kehrte mir den Rücken zu und ging mit unsicheren Schritten in ihre Wohnung hinüber.
    Am nächsten Tag kam mein Freund Gerard hierher zu mir, um sich zu entschuldigen. Er vertraute mir an, dass sie immer unerträglicher werde und dass er alles tue, um ihr aus dem Weg zu gehen. Er fügte allerdings hinzu, dass sie ihrerseits das gleiche tue...«
    »Warum hat Ihr Freund nicht die Scheidung beantragt?«
    »Weil er trotz seines Lebensstils streng katholisch ist. Außerdem wäre

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