Maigret und Monsieur Charles
Schädel ist völlig zertrümmert...«
»Glauben Sie, eine Frau hätte das tun können?«
»Frauen sind unter bestimmten Umständen genauso stark wie Männer, wenn nicht stärker... Angenommen, sie ist schuldig, wo hätte das Verbrechen begangen werden können?... In ihrer Wohnung?... Es ist viel Blut geflossen... Das hätte Spuren hinterlassen, und sie ist klug genug, das zu wissen...
Wie hätte sie danach die Leiche bis zur Seine transportieren sollen? Wie hätte sie sie zum Auto bringen und darin verstauen sollen?...«
»Ja, sicher... Vielleicht ist der Mörder irgendein Gauner, der ihm in einer menschenleeren Straße begegnet ist?«
»Die Brieftasche war unberührt, und es waren mehr als fünfzehnhundert Francs darin.«
»Ein Racheakt?«
»Von wem?«
»Von einem Liebhaber... Vom Liebhaber einer der Frauen, die er aus den Nachtclubs mitnahm...«
»Solche Leute sind auf zahlende Kunden nicht eifersüchtig... Allenfalls könnte einer von ihnen versucht haben, ihn zu erpressen...«
Maigret betrachtete noch einmal die Fotografie des jungen Paars vor der Champagnerflasche und leerte sein Portweinglas.
»Noch einen?«
»Nein danke, so gut er auch ist...«
Er hatte eine Reihe von Einzelheiten aus Nathalies Vergangenheit in Erfahrung gebracht, aber wohin führte ihn das?
Zu Madame Maigrets Überraschung aß er zu Hause zu Mittag, doch das hatte an diesem Tag nichts zu bedeuten. Ihr Mann war immer noch genauso verschlossen und mürrisch. Gewöhnlich aß er Pot-au-feu mit großem Genuss, und nun merkte er kaum, dass er es zu sich nahm, mit einer Sauce Pauvre-homme.
»Eine große Tasse Kaffee...«
Das bedeutete die Frühstückstasse, die gut einen Drittelliter fasste. Er warf einen Blick in die Zeitungen, die den Pförtner und einen der Kanzleiangestellten interviewt hatten. Auch Vito hatten sie ausgefragt, doch der hatte ihnen nur abweisende Antworten gegeben.
Bei der Ankunft in seinem Büro fand Maigret den Bericht über die Abhöraktion vor.
Seit ihr Telefon angezapft worden war, hatte Nathalie nicht ein einziges Mal telefoniert, heute Morgen aber hatte sie einen Anruf erhalten, der äußerst kurz gewesen war.
»Bist du’s?«
»Ja.«
»Ich muss dich unbedingt sehen...«
Ohne abzuwarten, ohne etwas zu sagen, hatte sie eingehängt. Wahrscheinlich von einem anderen Apparat aus, aber auf derselben Linie, hatte die Köchin den Fleischer angerufen, um einen Kalbsbraten zu bestellen, den Vito später abholen sollte.
Die Kanzlei dagegen hatte eine Flut von Anrufen von Klienten erhalten, die mehr oder weniger beunruhigt waren. Lecureur gab sich alle Mühe, sie zu beschwichtigen und erteilte die Auskünfte, die von ihm verlangt wurden.
Maigret ging zum Untersuchungsrichter hinauf, dem er, bei Lichte betrachtet, wenig Neues liefern konnte. Der gute Coindet hatte keine Eile. An seinem Schreibtisch sitzend, schmauchte er gemächlich eine alte Pfeife und sah dabei eine Akte durch.
»Setzen Sie sich, Maigret.«
»Ich habe Ihnen fast nichts mitzuteilen. Den Autopsiebericht werden Sie ja erhalten haben...«
»Heute Morgen, ja... Der Mörder wird nicht behaupten können, dass er keine Tötungsabsicht hatte... Haben Sie keine Ahnung, an welchem Ort das Verbrechen begangen worden ist?«
»Bis jetzt noch nicht... Die Spezialisten vom Erkennungsdienst sind gerade dabei, die Kleider und Schuhe aufs gründlichste zu untersuchen. Angesichts der langen Zeit, die die Leiche im Wasser gelegen hat, besteht wenig Aussicht, dass es etwas bringen wird...«
Maigret reichte dem Richter seinen Tabaksbeutel und zündete die Pfeife an, die er sich gestopft hatte.
»Nur in einem Punkt habe ich ein paar Fortschritte gemacht. Madame Sabin-Levesque behauptete, sie sei Sekretärin bei einem Anwalt in der Rue de Rivoli gewesen, als sie den Notar kennenlernte. Tatsache ist, dass dieser Anwalt seit zehn Jahren tot ist. Er kann sie also nicht widerlegen.
In einer der Schubladen des Toten, in der sich einige Fotografien befanden, habe ich ein Passbild von Nathalie entdeckt, als sie noch viel jünger war, und auf der Rückseite stand ein Name: Trika. Ein Pseudonym natürlich. Da ich die Neigungen des Notars kannte, habe ich in den Nachtclubs nachgeforscht und erfahren, dass sie Animierdame und nicht Sekretärin war. Ich konnte sogar herausfinden, in welchem Lokal sie Sabin-Levesque kennengelernt hat...«
Der Richter war immer noch nachdenklich und starrte dem Rauch seiner Pfeife nach.
»Ist sie irgendwann einmal in diese Lokale
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