Maigret und Monsieur Charles
zurückgekehrt?« fragte er mit seiner weichen Stimme.
»Soviel ich weiß nicht... Nachdem Sie Madame Sabin-Levesque geworden war, muss sie nur noch Verachtung für dieses Milieu empfunden haben, in dem sie sich gedemütigt fühlte... Heute Morgen erhielt sie einen Anruf. Es war eine Männerstimme, aber die Zeit reichte nicht aus, um zu ermitteln, woher das Gespräch kam. Der Mann sagte:
>Ich muss dich unbedingt sehen...<
Sie legte auf, ohne eine Antwort zu geben. Ich habe den Eindruck, dass sie viel mehr weiß, als sie sagt. Deshalb will ich versuchen, sie sozusagen weichzukochen. Ich werde sie nochmal besuchen, ohne bestimmten Grund.«
Die beiden Männer rauchten eine Weile schweigend, dann gaben sie sich die Hand, und Maigret kehrte in sein Büro zurück.
Er trat ins Arbeitszimmer der Inspektoren und fragte: »Wer schiebt gerade Wache am Boulevard Saint- Germain?«
»Inspektor Baron...«
An Lapointe gewandt, der schon auf ein Zeichen wartete, murmelte der Kommissar:
»Ich gehe allein hin... Es ist nur ein Versuch... Sie wird weniger verschreckt sein, und vielleicht...«
Er beendete seinen Satz nicht und machte eine Geste, die besagen sollte, dass er selbst nicht recht daran glaubte.
Er nahm ein Taxi, das ihn vor dem Haus absetzte. Auf der anderen Seite des Boulevards ging ein Mann auf und ab, und der Kommissar schloss sich ihm an.
»Ist sie nicht aus dem Haus gegangen?«
»Nein. Nichts zu melden. Nur der Chauffeur ist heute Morgen mit dem Fiat weggefahren, zum Einkäufen, vermute ich, denn er ist kurz darauf zurückgekommen ...«
Der Pförtner war ein so guter Kerl und so stolz, wenn Maigret ihm die Hand drückte, dass dieser ihm kurz guten Tag sagen ging.
»Sieht so aus, als sei sie nicht ausgegangen?«
»Nein. Und die Leute, die reinkamen, wollten alle zum Arzt im dritten Stock.«
»Seit wievielen Jahren sind Sie hier?«
»Seit sechzehn Jahren. Ich habe böse Füße und schaffte deshalb den Polizeidienst nicht mehr.«
»War Sabin-Levesque damals noch Junggeselle?«
»Sechs Monate, nachdem ich hier anfing, hat er geheiratet. «
»Verschwand er damals noch hin und wieder für ein paar Tage?«
»Bis auf die letzten zwei, drei Wochen vor der Hochzeit.«
»Sah er seinem Vater sehr ähnlich?«
»Ja. Ein gutaussehender Mann, wie es sich für einen Notar gehört. Er hatte ein junges Gesicht, aber schlohweißes Haar.« »Verstand er sich gut mit seinem Sohn?«
»Er war, glaube ich, nicht sonderlich stolz auf ihn, aber er hatte sich damit abgefunden...«
Maigret stieg in die erste Etage hinauf und klingelte.
Claire, die Zofe, öffnete ihm und machte ein hämisches Gesicht.
»Madame Sabin-Levesque ist ausgegangen.«
»Sind Sie sicher?«
»Ja.«
»Um wieviel Uhr hat sie das Haus verlassen?«
»Gegen zwei...«
Es war zehn nach drei.
»Hat sie eins der Autos genommen?«
»Ich glaube nicht.«
So wie Maigret Baron kannte, hätte ihn nichts von seiner Aufgabe ablenken können. Auch der Pförtner hätte Nathalie Vorbeigehen sehen.
Er trat ein und schloss die Tür hinter sich.
»Was haben Sie vor?«
»Nichts. Kümmern Sie sich nicht um mich. Wenn Sie fürchten, dass ich eine Nippfigur klaue, können Sie ja mitkommen...«
Er begann im rechten Flügel, machte die Runde durch die von der jungen Frau bewohnten Räume. Er machte sich sogar die Mühe, in die Schränke zu sehen, was Claire ein Lächeln entlockte.
»Warum glauben Sie, dass sie sich im Schrank verstecken könnte?«
»Es ist ein Platz wie jeder andere.«
»Sie hat keinen Grund, sich zu verstecken.«
»Sie hatte auch keinen Grund, beim Hinausgehen nicht das Tor zu benutzen...«
Er schlenderte im Salon umher, betrachtete eins nach dem anderen die gestreng dreinblickenden Ahnenporträts und dachte an das Leben, das ihr Abkömmling geführt hatte. Hatten sie es außerhalb ihrer Porträts nicht vielleicht ebenso gehalten?
»Wo befindet sich der Nebenausgang?«
»Das kann ich Ihnen gerne sagen, denn es ist ein offenes Geheimnis.«
»Im Hof?«
»Nein. Neben dem Aufzug ist eine kleine Glastür. Sie geht auf eine Treppe, die in den Garten führt. Am andern Ende kommt man zu einer Tür in der Umfassungsmauer. Sie geht direkt auf die Rue Saint-Simon.«
»Und diese Tür ist nicht abgeschlossen?«
»Doch. Da aber Monsieur und Madame Sabin- Levesque die Eigentümer sind, haben sie den Schlüssel.«
»An welchem Platz befindet sich dieser Schlüssel?«
»Weiß ich nicht...«
Das war ein recht interessanter Punkt. Bewahrte Gerard den
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